Boese - Horror
Morgens war nicht ins Gebäude eingedrungen. Die abgestandene, feuchtheiße Luft war unerträglich. Doug ging direkt zum Schalter, ohne die perversen und abstoßenden Plakate an den Wänden zu betrachten. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich klebrig an.
Der Postbote kam aus dem Hintergrund. Er lächelte. Wie immer trug er Uniform, und wie immer war seine Stimme glatt und aufgesetzt. »Was kann ich für Sie tun, Mister Albin?«
»Lassen Sie den Quatsch«, sagte Doug. »Wir wissen beide, warum ich hier bin.«
»Ach ja? Warum denn?« Das Lächeln des Postboten wurde breiter.
Doug beugte sich vor. »Weil Sie meine Familie bedrohen. Weil Sie letzte Nacht in mein Haus gekommen sind und uns eine Notiz hinterlassen haben.«
»Was für eine Notiz?«
»Das wissen Sie verdammt gut. In der Notiz stand ›Hallo‹.«
Der Postbote kicherte. »Das ist ja schrecklich bedrohlich.«
Doug ballte die Faust und hielt sie drohend hoch. »Spielen Sie nicht das Unschuldslamm! Es ist niemand hier außer Ihnen und mir, und wir wissen beide, dass Sie letzte Nacht in mein Haus eingebrochen sind.«
»Ich habe nichts dergleichen getan. Ich war den ganzen Abend daheim, zusammen mit Mister Crowell.« Der Ausdruck auf dem Gesicht des Postboten war eine Parodie verletzter Unschuld.
»Und wo ist Mister Crowell?«
Der Postbote grinste. »Leider ist er heute krank.«
»Verdammt, hören Sie damit auf!«, stieß Doug hervor.
»Aufhören? Womit?«
»Mit allem. Hauen Sie ab aus Willis, oder ich schwöre bei Gott, dass ich dafür sorgen werde, dass Sie verschwinden.«
Der Postbote lachte. Diesmal lag Härte unter der Fassade falscher Freundlichkeit. Seine Augen, blau und tot, blickten kalt, und seine Stimme hatte nichts mehr von der gewohnten berechnen den Höflichkeit. »Sie können mich zu gar nichts zwingen«, sagte er.
Sein Ton ließ Doug das Blut in den Adern gefrieren. Er wich einen Schritt zurück. Er begriff, dass er zum ersten Mal das wahre Gesicht des Postboten sah, und musste dem instinktiven Verlangen widerstehen, panisch die Flucht zu ergreifen. Die Tatsache, dass er Smith so weit aus der Reserve gelockt hatte, dass dieser seine Tarnung fallen ließ, machte ihm sehr viel mehr Angst, als er gedacht hatte. Er hätte nicht alleine hierherkommen sollen. Er hätte Mike oder Tim oder einen anderen Polizisten mitbringen sollen. Doch Doug wollte den Postboten seine Angst nicht spüren lassen. »Warum verfolgen Sie meine Familie?«, fragte er, und seine Stimme klang fest. »Warum haben Sie gerade mich ausgesucht?«
»Weil Sie es wissen«, antwortete der Postbote.
»Ich weiß gar nichts.«
»Weil Sie sich beschwert haben.«
»Viele Leute haben sich beschwert.«
»Weil mir danach ist«, sagte der Postbote, und Doug begriff schlagartig, dass der Irrsinn dieses Eingeständnisses, das völlige Fehlen von Gründen und Erklärungen tatsächlich der Wahrheit entsprach. Er starrte in die kalten Augen und sah nichts. Keine Leidenschaft, kein Gefühl - nichts.
Der Postbote lächelte, und seine Stimme hatte einen hässlichen Unterton, in dem bedrohliche Sexualität lag. »Wie geht es der kleinen Frau und dem kleinen Mann?«
»Sie Bastard!« Doug schlug nach dem Postboten, aber dieser wich leichtfüßig zurück. Doug verlor das Gleichgewicht und taumelte gegen den Schalter.
Der Postbote kicherte; dann setzte er wieder seine übliche, harmlose Maske auf. »Es tut mir leid, Mister Albin. Das Postamt ist noch nicht geöffnet, aber wenn Sie ein Briefmarkenheftchen kaufen möchten ...«
»Lassen Sie uns in Ruhe!«, brüllte Doug und richtete sich auf.
»Es ist meine Aufgabe, die Post zuzustellen, und ich werde meine Pflicht erfüllen, so gut ich kann.«
»Warum? Es liest sowieso keiner die verdammte Post.«
»Jeder liest seine Post.«
»Ich nicht. Ich habe schon vor Wochen aufgehört, die Post zu lesen.«
Smith starrte ihn an und blinzelte. »Sie müssen Ihre Post lesen.«
»Ich muss gar nichts. Ich bringe meine Post direkt vom Briefkasten zum Mülleimer, ohne Zwischenstopp.«
Zum ersten Mal hatte Doug den Eindruck, dass der Postbote nach Worten suchte. Er schüttelte den Kopf, als hätte er Doug nicht verstanden. »Aber Sie müssen Ihre Post lesen«, wiederholte er.
Doug lächelte. Ihm wurde klar, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. »Ich lese meine Post nicht. Meine Frau liest ihre Post nicht. Wir schauen sie gar nicht erst an. Wir sehen nicht einmal nach, von wem sie kommt oder an wen sie adressiert ist. Wir werfen sie
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