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Boese - Horror

Boese - Horror

Titel: Boese - Horror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bentley Little
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begann er nun zu lesen, als er zu lesen vorgab.
    Zehn oder fünfzehn Minuten später hörte er Billys Stimme, kaum lauter als der Gesang des Bachs. Er blickte von seinem Buch auf.
    »Dad!«
    Billy kam platschend durch die Mitte des Bachs auf sie zu. In der Hand hielt er einen nassen, durchgeweichten Umschlag. Wasser triefte von Billys Jeans und von seinen nackten Armen. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck des aufgeregten Entdeckers, als hätte er gerade die Lost Dutchman Goldmine gefunden oder irgendeinen lange vergrabenen Schatz ausgebuddelt.
    »Dad!«
    Doug markierte die Stelle im Buch und legte es auf einen großen, trockenen Felsen neben sich. »Was gibt's?«
    »Komm her. Du musst herkommen.«
    Fragend sah er Trish an.
    »Unternimm doch ausnahmsweise mal etwas mit deinem Sohn«, sagte sie. »Erinnerst du dich, worüber wir gesprochen haben? Sitz nicht nur rum und verplempere deine Zeit mit Lesen.«
    Doug stand auf. »Das hat er von dir«, sagte er und winkte ermahnend mit dem Zeigefinger in ihre Richtung. »Das ist Teil des Anti-Intellektualismus, der durch dieses Land fegt. Wenn aus ihm mal nichts wird, ist es meine Schuld. Dabei habe ich mein Bestes versucht.« Er nahm seine Brieftasche aus der Hosentasche und legte sie oben aufs Buch; dann ging er über das Gestrüpp und die Steine zu Billy. Bei jedem Schritt sprangen Dutzende von kleinen braunen Grashüpfern hoch.
    »Was ist los?«, fragte er Billy. »Und warum hast du diesen Brief da in der Hand?«
    »Das kann ich dir nicht sagen. Ich muss es dir zeigen.«
    »Wo?«
    »Nur ein Stück den Bach entlang.«
    »Muss ich mich nass machen?«
    Billy lachte. »Hab dich nicht so. Komm schon.«
    Doug machte einen vorsichtigen Schritt ins Wasser. Es war kalt.
    »'ne irre Sache«, versprach Billy und wedelte verlockend mit dem Umschlag. »Wo der herkommt, gibt es noch mehr. Das ist dein einziger Hinweis.«
    Doug stieg ins Wasser. Es war kalt, reichte ihm aber nur bis zur Mitte der Waden. Billy ging los und winkte seinem Vater, ihm zu folgen, und so watete Doug hinter ihm her.
    Sie folgten einer Flussbiegung, dann noch einer. Die Hänge an den Ufern wurden steiler. Das Wasser war hier ein wenig tiefer, und die Steine im Bachbett waren rutschig. Auf dem Grund konnte Doug kleine schwarze Flecken auf einigen Steinen entdecken. Blutegel. »Ich wusste nicht, dass du durch so eine Umgebung wanderst«, sagte er. »Das gefällt mir nicht. Es ist gefährlich. Von jetzt an bleibst du näher bei mir und Mom.«
    »So schlimm ist das nicht.«
    Doug rutschte beinahe aus und konnte sich gerade noch mit einer Hand an einem Felsen festhalten. Billy hingegen watete geradewegs und sicher durchs Wasser.
    »Dann geh wenigstens nicht so weit weg, dass wir dich nicht mehr sehen können. Du könntest dir den Schädel einschlagen, und wir würden es niemals erfahren.«
    Billy war an einer weiteren Flussbiegung stehen geblieben und zeigte um die Kurve. »Da ist es.«
    Doug schloss zu ihm auf.
    Und blieb stehen.
    Beide Ufer des Bachs waren von Umschlägen übersät, weiß und gelb, braun und beige. Hunderte von Umschlägen. Sie waren überall, wie rechteckige Schneeflecken oder irgendein bizarrer Pilz, der in präzisen geometrischen Mustern wuchs, alles bedeckte, sich an Büschen festklammerte und zwischen den Felsen hervorlugte. Die meisten Umschläge waren nass, hatten sich voll Wasser gesogen und steckten im Schlamm am Bachufer. Weitere Briefe hingen in den Zweigen der Bäume in der Nähe.
    »Irre, was?«, sagte Billy aufgeregt. Er zog einen Umschlag aus den Zweigen eines jungen Baums neben ihm.
    Doug hob die beiden Umschläge auf, die ihm am nächsten waren. Rechnungen. Er erkannte sie sofort an der gedruckten Rücksendeanschrift und dem Adressfenster mit Name, Hausnummer, Straße, Stadt, Staat und Postleitzahl des Empfängers. Er ließ den Blick schweifen. Nahezu alle Umschläge schienen das kurze rechteckige Format aufzuweisen, in dem sich normalerweise Rechnungen oder Steuerbescheide befinden. Nur wenige hatten das längliche Format weniger formeller Schreiben oder die kleinen, hübschen Umschläge persönlicher Korrespondenz.
    Fassungslos starrte Doug auf die dreißig oder vierzig Umschläge, die aussahen, als würden sie auf Bäumen wachsen.
    Der Postbote hatte die Post im Bach entsorgt.
    Es war eine logische Schlussfolgerung; dennoch hatte Doug ein seltsames Gefühl, sich dies einzugestehen. Warum sollte der Mann so etwas tun? Was für einen Sinn hätte es? Was könnte der Grund dafür

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