Boese - Horror
den Blick einfach nicht abwenden. Schließlich griff er ganz langsam danach, als wäre eine Briefbombe darin, und hob ihn vorsichtig hoch. Er wollte den Umschlag nicht öffnen. Er hatte sogar Angst davor, ihn zu öffnen. Aber er musste einfach wissen, was darin war. Vorsichtig drückte er mit den Fingern gegen den Umschlag, um sicher zu sein, dass er keine Fotos enthielt.
Seine Mutter, nackt.
Billys Hand zitterte. Es waren keine Fotos darin; der Umschlag war biegsam, nicht steif, und mit einer einzigen, raschen Bewegung riss er ihn auf.
Auf dem weißen Blatt waren nur vier Worte getippt:
Komm raus und spiele.
Komm raus und spiele. Für sich allein waren diese Worte völlig harmlos, sogar unschuldig, doch die Bedeutung dahinter war alles andere als das. Billy wusste ganz genau, wer die Botschaft geschickt hatte, obwohl es keinen Absender gab, und er wusste genau, was die Botschaft bedeutete.
Komm raus und spiele.
Billy ließ das Blatt auf den Boden fallen und trat einen Schritt zurück. Er hätte mit seinen Eltern fahren sollen. Er hätte niemals allein hierbleiben sollen. Was zum Teufel stimmte mit ihm nicht? Das abgedunkelte Haus, das ihm noch vor wenigen Minuten so wunderbar und besonders erschienen war, kam ihm nun unheimlich vor, bedrohlich, voller Schatten. Er streckte die Hand aus und drückte auf den Lichtschalter neben der Spüle.
Nichts geschah.
Der Strom war ausgefallen.
Billy bekam es mit der Angst. Rasch lief er zum Telefon und nahm den Hörer ab.
Die Leitung war tot.
Draußen hörte er durch den prasselnden Regen das Geräusch eines Automotors. Billy lief zur Hintertür, um sich davon zu überzeugen, dass sie abgeschlossen und verriegelt war; dann schloss er die Vordertür ab. Er huschte zum nächsten Fenster und spähte hinaus. Durch die regennasse Scheibe konnte er am Ende der Auffahrt undeutlich eine Gestalt sehen. Eine Gestalt in blauer Uniform, mit weißem Gesicht und rotem Haar.
Komm raus und spiele.
Sofort wich Billy vom Fenster zurück und schloss die Vorhänge. Nachdem er auch den zweiten Vorhang zugezogen hatte, wurde ihm klar, wie dumm das gewesen war: Jetzt saß er hier drinnen in der Falle, hilflos, blind, und konnte nicht sehen, was draußen vor sich ging. Beinahe hätte er die Vorhänge wieder geöffnet, ließ die Kordel aber sofort wieder los. Was war, wenn der Postbote sich bis auf die Veranda geschlichen hatte? Wenn er nun direkt vor dem Fenster stand und auf ihn wartete, ihn angrinste? Was würde er tun? Was konnte er tun? In der Sekunde, ehe die Vorhänge sich schlossen, hatte Billy gesehen, dass der Postbote sich auf das Haus zu bewegte. Oder doch nicht? Er konnte sich nicht genau erinnern ...
Sein Blick zuckte zum hinteren Teil des Hauses, zum Schlafzimmer seiner Eltern. Die Vorhänge dort waren offen, aber die Fenster gingen zum Wald hinaus. Er würde nichts sehen können außer Bäumen.
Und den Postboten, falls er sich aus dieser Richtung näherte.
Billy lief die Treppe hinauf. Es gab im Obergeschoss keine Tür am Ende der Treppe, aber da oben war sein Baseballschläger, und den konnte er benutzen, um sich zu schützen, falls nötig. Er nahm den Schläger und suchte nach etwas, das er dem Postboten notfalls an den hässlichen Schädel werfen konnte. Er fand mehrere schwere Spielzeuge, die er seit Jahren nicht mehr angefasst hatte, und nahm sie mit zum Bett. Er umklammerte fest den Schläger, wartete und lauschte auf jedes unvertraute Geräusch im Haus.
Doch er hörte nur den unablässigen Regen.
Als eine Stunde später seine Eltern in die Auffahrt einbogen, hatte Billy kein anderes Geräusch gehört.
34.
Doug ging zum Briefkasten. Es war schon eine ganze Weile her, dass er nach der Post gesehen hatte, und er war neugierig, was für Briefe der Postbote in diesen Tagen schickte. Ungefähr seit einer Woche war Doug jeden Tag aufgestanden, bevor Trish oder Billy aufwachten, und hatte die Post direkt in den Mülleimer geworfen, wobei er darauf achtete, sie tief unter den Müllbeuteln aus der Küche und den Abfällen aus dem Badezimmer zu vergraben, damit sie nicht zufällig von einem hungrigen Hund, einem Skunk oder einem Waschbären aus der Tonne geholt wurden.
Dennoch war er neugierig. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass er der ständigen Versuchung durch den Postboten widerstand und so alle bösen Überraschungen durch Päckchen oder Briefe erfolgreich vereitelt worden waren. Doch er konnte nicht leugnen, dass etwas in ihm war - jenes widerspenstige
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