Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8
lassen. Zwei der anderen Opfer kamen auf Tagungen um, und das De-Bosch-Symposium könnte die ganze Mordwelle erst ausgelöst haben.«
»Nein«, sagte sie, »er war nirgendwo. Er hatte dem akademischen Zirkus abgeschworen, schon lange. Seine Stelle an der Universität gab er auf, um sich mehr um seine Patienten, seine Familie und seine eigene Gesundheit zu kümmern. Sein Vater war jung gestorben, wissen Sie - Herzanfall. Harvey war nun in dem Alter und sah sich mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Er begann, Sport zu treiben, das Fett auszutreiben aus seiner Ernährung und seinem Leben - so hat er sich ausgedrückt. Er sagte, er wollte noch lange, lange da sein für mich und die Kinder.«
Sie verzog das Gesicht, hob mühsam die Hand und ließ sie, weich und kalt, auf die meine fallen.
»Gibt es noch irgendetwas, das Sie mir erzählen können?«, fragte ich.
Sie dachte lange nach. »Nein, tut mir leid. Ich wünschte, ich wüsste mehr.«
»Danke, dass Sie mich empfangen haben.« Ihre Hand blieb, wo sie war, sie schien eine Tonne zu wiegen.
»Bitte, lassen Sie mich wissen, was immer Sie herausfinden.«
»Das werde ich.«
»Wie lange bleiben Sie in New York?«
»Ich glaube, ich werde heute Abend zurückfliegen.«
»Wenn Sie einen Schlafplatz brauchen, sind Sie herzlich willkommen. Vorausgesetzt, Sie sind mit einer Couch zufrieden.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich muss zurück.« Ich hörte eine Tür. Schritte.
Joshua trat ein, schaute auf unsere Hände und runzelte die Stirn.
»Alles in Ordnung, Mutter?«
»Ja, mein Liebling. Doktor Delaware war eine große Hilfe.«
»Eine Hilfe? Wie meinst du das?«
»Er weiß, dass wir im Recht sind... wegen Vater.«
»Du hast dich genug angestrengt, Mutter. Bitte, du musst dich jetzt ausruhen.«
»Es geht mir gut, Schatz, wirklich.«
Ich hob vorsichtig ihre Hand und legte sie auf die Bettdecke. Dann stand ich auf.
Joshua ging auf die andere Seite des Betts und strich die Decke glatt. »Du musst dich jetzt wirklich ausruhen, Mutter. Der Doktor sagt, Ruhe ist jetzt das Wichtigste.«
Er setzte sich neben das Bett. Ich schlich aus dem Zimmer und verließ die Wohnung.
27
Ich ließ einen Sitz auf dem nächsten Flug nach L. A. reservieren, stopfte meine Sachen in die Reisetasche und gab meine Ankunftszeit an Milos und Ricks Anrufbeantworter durch. Dann verließ ich das Middleton und winkte ein Taxi heran.
Am Schalter des Kennedy Airport erfuhr ich, dass mein Flug fünfunddreißig Minuten Verspätung hatte. An manchen der Sessel im Wartesaal gab es Münzfernseher. Die Leute glotzten in die Röhre, als sei sie der Quell der Wahrheit.
Ich fand einen freien Bildschirm und steckte etwas Kleingeld in den Schlitz. Es gab Nachrichten von einem Lokalsender.
Nachrichten aus Kalifornien. Die Leitung eines Gefängnisses in der Nähe von Los Angeles gab bekannt, dass am frühen Morgen zwei Insassen, beide vermutlich Angehörige einer weißen Rassistengruppe, erstochen worden waren. Die Täter kamen wahrscheinlich aus Kreisen einer mexikanischen Bande, der Nuestra Raza. Die Opfer, Russell Hauptmann und Donald Wallace, waren beide wegen Mordes verurteilt worden...
Nuestra Raza. NR. Die Tätowierung auf Roddy Rodriguez’ Händen.
Ich dachte an Rodriguez’ Bauhof, ausgeräumt und verriegelt. Die Flucht musste einige Zeit im Voraus geplant gewesen sein.
Jetzt verstand ich auch Harry Kefflers unglückseligen Auftritt bei meinem Haus und Sherman Greers hartnäckige Fragen. Von Gerüchten im Gefängnis wussten die Iron Priests wahrscheinlich schon, was sich zusammenbraute. Wenn sie Rodriguez gefunden hätten, wären sie dem Anschlag vielleicht zuvorgekommen, oder sie hätten wenigstens Gelegenheit zu sofortiger Vergeltung gehabt.
Vergeltung.
Immer derselbe idiotische Teufelskreis. Gewalt gegen Gewalt.
Einbruchswerkzeuge und ein Stoß aus einem Fenster im achten Stock.
Eine Leiche in einer Garage. Ein kleiner Junge, der nie geboren wurde.
Zwei kleine Mädchen auf der Flucht.
Waren Sandra und Stefanie jetzt in irgendeinem mexikanischen Kaff an der Grenze? Oder hatte Evelyn sie an einen Ort gebracht, wo sie wie andere Kinder sein konnten? - So viel Gewalterfahrung prägte. Jahre später würde es sie zu brutalen, gewalttätigen Männern ziehen, und sie wüssten nicht einmal, warum.
Es knackte im Hallenlautsprecher. Eine kaum verständliche Stimme sagte etwas von Einsteigen. Ich stand auf und stellte mich in die Schlange. Mein Kopf und meine Beine schmerzten.
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