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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Carter
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Unterricht glich einem Kreuzverhör. Mr. Brightly prüfte unser Wissen, indem er einen Satz aus der Bibel anfing und dann auf einen Schüler zeigte, der aufstehen und das Zitat beenden musste. Nur zweien gelang es, die richtige Antwort zu geben. Einen Schüler faltete er nach allen Regeln der Kunst zusammen, weil der aus der falschen Bibelübersetzung zitiert hatte.
    »Dieser Wortlaut stammt aus der King-James-Bibel aus der Zeit von König Jakob«, sagte Mr. Brightly, als wäre er ein Staatsanwalt, der soeben einen Mörder überführt hatte. »Ich hingegen arbeite ausschließlich mit der Standardausgabe.«
    »Aber wir …«, setzte sich der Junge, der am ganzen Leib zitterte, zur Wehr.
    »Aber was?«, schoss Mr. Brightly mit zuckersüßer Stimme zurück.
    »Die Ausgabe haben wir … nun ja … noch nicht besprochen«, kam die stotternde Antwort.
    Als Mr. Brightly einen Schritt auf den Jungen zumachte, nässte der sich ein.
    »Dann holt ihr das nach«, befahl Mr. Brightly. »In meinem Unterricht werden wir jede Fassung der Heiligen Schrift besprechen. Verstanden?«
    »Ja, Sir«, erwiderte der Junge.
    »Gut«, gab Mr. Brightly zurück. »Du darfst dich wieder setzen.«
    Der Junge gehorchte und setzte sich mit seiner nassen Hose neben die Pfütze, die er verursacht hatte. Jeder andere Lehrer hätte ihn nach Hause geschickt, damit er sich umziehen konnte. Nicht so Mr. Brightly.
    Keiner von uns äußerte sich zu dem Vorfall. Weil keiner von uns es für grausam hielt, zumindest nicht in dem Moment. Keiner von uns war dazu in der Lage.
    Die Inquisition zog sich hin, bis die Schulglocke ertönte.
    Normalerweise sprangen wir auf, sobald es läutete. Dieses Mal jedoch blieben wir brav auf unseren Plätzen sitzen.
    »Als Hausaufgabe lest ihr die Genesis, gründlich und in allen Versionen. Vielleicht schneidet ihr so morgen etwas besser ab«, meinte Mr. Brightly. »Außerdem schreibt ihr einen Aufsatz von mindestens tausend Wörtern, in dem ihr erörtert, was ihr gelernt habt. Damit ist die Stunde vorüber!«
    Obwohl er uns das kein zweites Mal sagen musste, stürmte niemand aus dem Raum. Stattdessen verließ einer nach dem anderen das Klassenzimmer, wie Perlen an einer Schnur. Erst die erste Reihe, dann die zweite und so weiter. Es dauerte einen Augenblick, bis mir aufging, dass ich das Schlusslicht bilden würde. Inständig wünschte ich mir, ich hätte mich auf die andere Seite des Raumes gesetzt. Als ich dann endlich an der Reihe war, stand ich so schnell wie möglich auf und betete, dass ich es bis zur Tür schaffte, ehe …
    »Stuart. Du bleibst noch.«
    Verdammter Mist.
    »Mir ist zu Ohren gekommen«, begann er, »dass du dich kürzlich der Sünde des Onan schuldig gemacht hast. Stimmt das?«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Wann genau war das?«
    »Heute Nacht«, gab ich zurück. Es war unmöglich, die Antwort zu verweigern, geschweige denn zu lügen.
    »Dir ist sicher klar, dass es sich um einen schlimmen Verstoß handelt«, sagte Mr. Brightly. »Was hast du zu deiner Verteidigung hervorzubringen?«
    »Von einem Dämon weiß ich, dass es keine Sünde ist«, erklärte ich ihm.
    »Verstehe«, meinte Mr. Brightly. »Und du glaubst diesem Dämon? Was frage ich überhaupt. Natürlich tust du das. Ein Wahrheitszauber, ja? Clever von dir.«
    Er kann Gedanken lesen, dachte ich.
    »Korrekt«, antwortete er. »Daher weiß ich auch, dass du durchschaut hast, wer ich bin. Du bist nicht nur clever, sondern hast außerdem eine gute Auffassungsgabe. Was hat dir dein dämonischer Freund sonst noch so erzählt?«
    Wie von selbst kreisten meine Gedanken darum, was Fon Pyre über gefallene Engel erzählt hatte. Es kam mir vor, als wäre mein Kopf ein Computer und Leopold Brightly ein Hacker.
    »Verstehe«, sagte er. Seine Augen weiteten sich ein wenig, und sein Mund verzog sich zu einem hauchdünnen Lächeln. »Hast du vor, mich umzubringen?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich will einfach nur, dass der Wahnsinn ein Ende hat.«
    Sein Lächeln wurde breiter, sein Blick bohrte sich in mich. Ich verspürte den Wunsch, mich einzunässen, zwang mich aber, nicht die Kontrolle zu verlieren und nicht vor ihm einzuknicken. Als er jedoch einen Schritt auf mich zumachte, wich ich instinktiv zurück. Noch im selben Moment ärgerte ich mich über meine Schwäche und nahm mir vor, nicht noch einmal nachzugeben.
    Brightly trat einen weiteren Schritt vor, woraufhin ich wieder zurückwich. Am liebsten hätte ich geweint, so

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