Böser Mann - Provinzkrimi
sie unbekümmert nebeneinandergelegen hatten. Seit Wochen dominierten Nadelstiche die wenigen Abende, an denen sie sich noch trafen. Barbara war es leid, tagein, tagaus erraten zu müssen, wie es ihm wirklich ging. Und er hatte keine Lust mehr, über Befindlichkeiten zu reden, die ihn nur dann beschäfigten, wenn sie sie zum Thema machte.
Für sie war seine stoische Haltung weniger Ausdruck von Stärke als vielmehr andauerndes Warnsignal. Wo er Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen glaubte, vermutete sie Konfiktscheu, Ignoranz und Ausweichmanöver, die verhinderten, dass sie sich wirklich nahe sein konnten.
Die Fliege war noch munterer als er. Mit kurzen Unterbrechungen flog sie von Wand zu Wand, wobei sie allmählich an Höhe verlor und immer lauter wurde. Rauchen wäre eine Lösung, dachte er. Rauchen würde sie vertreiben und für Ruhe sorgen. Doch Rauchen kam noch nicht in Frage. Aufstehen und auf ihren kleinen Balkon gehen, um genüsslich in die Nacht zu qualmen, war seit jeher die Ultima Ratio. Barbara würde aufwachen und dann nicht mehr einschlafen können. Und wenn
sie gemeinsam die Nacht bewachten, wollte sie reden oder zuhören, was aber voraussetzte, dass er redete.
Dabei hatte er heute Abend schon mehr als üblich geredet. Schließlich gab es ja reichlich Stoff, und das nicht nur, weil in ihrer unmittelbaren Nähe zwei Leichen für Aufsehen sorgten und er durch blöde Zufälle in polizeilichen Ermittlungen steckte, sondern auch weil Barbara härter als sonst mit ihrer Klientel ins Gericht gegangen war. Berühmte Leute unterscheiden sich von weniger berühmten Leuten hauptsächlich dadurch, dass sie sich zu den unpassendsten Momenten krank melden, hatte sie bei einer Bloody Mary geklagt. Stell dir vor, Franz, jetzt hab ich Wochen damit zugebracht, für diesen Stefan Hummel eine Tournee mit fünfzehn wirklich guten Aufritten zu organisieren, und jetzt kratzt es dem Buben im Hals. Dortmund hat er abgesagt, für Dortmund würde seine Stimme nicht reichen, und ob er am Freitag Köln schafft, könne er noch nicht sagen. Ein Kratzen im Hals, der spinnt doch. Weißt du, wie lange der lesen muss? Weißt du das? 20 Minuten, höchstens, der Rest ist Multimedia. Bilder, Musik, Filmfetzen und etliche Stimmen aus dem Off. Aber es kratzt ihm im Hals. 5000 Menschen werden übel gelaunt heimgehen, weil es Herrn Hummel im Hals kratzt. Und am Freitag kommen noch mal 8000 dazu. Hast du das Buch von dem Hummel mal gelesen, das ich dir in die Hand gedrückt hab? Hast du nicht. Auch gut. Hast nichts verpasst. Mario Barth für Altphilologen, Cäsar und die Geschlechterfrage, der heilige Augustinus und die Menopause, alles ganz witzig, ganz flott und unterhaltsam, weißt du, das ist so einer, der auf Gottschalks Sofa eine gute Figur macht, weil er umstandslos von der Neigung männlicher Größen der Antike für Kinderpopos zum Tagesgeschäft der Internetpornografie switcht und jeden Zuhörer
glauben lässt, er habe einen kulturhistorisch ausnehmend wichtigen Zusammenhang begriffen.
Die Fliege musste jetzt irgendwo auf Barbaras Bettlaken sitzen. Kein Mucks war von ihr zu hören. Bei ihm war sie jedenfalls nicht. Er würde sie spüren, nicht nur weil er hellwach war, sondern auch ohne Laken im Mondschein lag. Also, der Hummel würde jedenfalls bei ihr kein Bein mehr auf den Boden kriegen. Wer Barbara so kam, von wegen Kratzen im Hals, hatte es vergeigt. Wenn überhaupt, duldete sie nur schwerste Verletzungen an Leib und Seele, um Aufritte abzusagen, die sie vereinbart hatte. Unter Krebs, Schlaganfall oder Fenstersturz ging da wenig. Todesfälle nächster Angehöriger oder Familiennotstände wie gescheiterte Selbstmordversuche drogenabhängiger Kinder akzeptierte sie nur, wenn sie Künstler sympathisch fand, was leider selten vorkam.
Seine Freundin würde in vier Wochen 39 Jahre alt werden und konnte auf eine genauso erfolgreiche wie miserabel bezahlte Karriere im PR-Business zurückblicken. Zehn Jahre war sie nun dabei. Zuerst Pharmaprodukte, dann Wohltätigkeitsverbände und Politik, schließlich Künstler, die durch Fernsehshows wie Raketen in den Himmel geschossen wurden, ehe sie nach kurzem Leuchten im Nichts versanken.
Auf dem Nachhauseweg in der S-Bahn hatte er ihr dann von Mike, Sammy und Frau Fischer erzählt. Sie hatte zugehört und kaum nachgefragt. Noch jetzt, da die Fliege zu weiteren Rundfügen durchstartete und an seiner Nase vorbeibrummte, hatte er den Eindruck, dass sie sich weniger für die vielen Ereignisse
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