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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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schon genug. Da will sie nicht noch tiefer in der Wunde bohren. Und außerdem ist sie ohnehin zu müde zum Sprechen. Die Putzjobs, die langen Fahrten mit dem Bus, jeden Morgen aufstehen um halb fünf. Sie könnte im Stehen schlafen. Was ihr letzte Woche einmal im Bus passiert ist.
    Tim sitzt auf der Fensterbank, starrt auf die Straße und kaut seinen Kaugummi, der schon jetzt nach nichts mehr schmeckt. Auch er denkt an Davids Geburtstag. Als er vor zwei Wochen auf Marcs Party war, hatte er einfach behauptet, er habe das Geschenk zu Hause vergessen. Marc hat natürlich nicht mehr danach gefragt. Bei David will Tim auf gar keinen Fall ohne Geschenk auflaufen. Er hat nur schlicht keinen Euro. Er könnte sich ohne weiteres einen Schein bei David leihen. Aber das fühlt sich scheiße an. Außerdem hat er schon Schulden bei dem Freund. Vor vier Wochen hat er sich Kohle geliehen, um sich eine neue Karte fürs Handy kaufen zu können. Die ist jetzt abgelaufen und das Telefon wieder tot. Und was meint David wohl damit: Wir gehen auf die Cart-Bahn, drehen dort ein paar Runden und dann geht es in die neue Pizzeria am Rathausplatz? Heißt das: Er bzw. seine Eltern zahlen das alles? Oder zahlt David nur die Cart-Bahn? Oder nur das Essen? Tim spuckt den Kaugummi raus. Er hat seine Entscheidung getroffen. Er kann nicht zu Davids Geburtstag. Er hat keine Kohle. Fertig. Er wird den Freund kurz vorher anrufen und ihm sagen, dass er krank sei. Durchfall mit Brechen. Das ganze Programm.
    Bei dem Gedanken an Durchfall zuckt es Charlotta. Sie kniet sich hin. So wird es etwas besser. Sie würde gerne schlafen. Kurz entschlossen zieht sie den Kapuzenpulli aus, dreht ihn um, streift ihn wieder über. Jetzt kann sie sich die Kapuze über das Gesicht legen, sich zudecken. Es wirkt zumindest kurz. Dann plötzlich hat sie das Gefühl zu ersticken, in einem schwarzen Loch zu versinken. Sie reißt die Kapuze wieder runter, atmet hektisch. Dann schiebt sie die Kapuze wieder etwas hoch, um die Tränen damit abzuwischen. Alles in ihr will hier raus. Und zum allerersten Mal macht ein klitzekleiner Gedanke auf sich aufmerksam. Wenn Emilia bis jetzt nicht gekommen ist – was soll sie dann nur machen, wenn die Freundin überhaupt nicht mehr kommt?

Ein Graben wird tiefer
    K laus Peters versucht, sein Misstrauen nicht zu zeigen. Er lehnt sich entspannt zurück, dabei sind alle seine Sinne hellwach. »Sie hatten noch gar nicht erzählt, dass Charlotta auf ein Internat wollte.« Er wählt extra diese vorsichtige Formulierung. Mal sehen, was passiert.
    Â»Sie wollte ja auch nicht«, antwortet Uwe Brandt sofort.
    Â»Das hat hiermit doch überhaupt nichts zu tun«, kontert seine Frau außergewöhnlich scharf. »Glaubst du vielleicht, sie hat sich selber entführen lassen, nur um nicht nach Frankreich zu müssen? Das halte ich für ein bisschen übertrieben.«
    Â»Warum wollen Sie Charlotta denn nach Frankreich schicken?« Peters achtet sehr darauf, die Gegenwartsform zu nutzen.
    Â»Ich bin Französin – und meine Tochter spricht ihre Muttersprache sehr gut. Doch in Frankreich könnte sie es noch einen Ticken besser lernen«, antwortet Claudine Brandt.
    Peters ist natürlich aufgefallen, dass von »meiner Tochter« die Rede war. Zwischen den Eheleuten verläuft ein Graben, der minütlich tiefer wird.
    Â»Vielleicht war uns wirklich nicht bewusst, wie sehr sie die Frankreich-Idee gehasst hat«, überlegt Uwe Brandt laut.
    Â»Was ist das hier? Familientherapie? Bringen Sie uns unsere Tochter wieder. Mehr will ich nicht.« Claudine Brandt ist aufgestanden, hat sich hinter ihren Stuhl gestellt. Klaus Peters registriert, wie sie sich an die Lehne krallt.
    Â»Claudine, bitte. Lass uns versuchen, ruhig zu bleiben. So gut es geht. Wir haben keine Ahnung, was Charlotta passiert ist oder was sie womöglich hat passieren lassen. Wir müssen alles in Betracht ziehen«, versucht ihr Mann sie zu beruhigen.
    Klaus Peters ist kurz rausgegangen, kommt mit Mineralwasser und drei Gläsern rein. Sie spürt die Bitterkeit, die im Raum liegt. Er hört die unausgesprochenen Vorwürfe. Er riecht den Angstschweiß. Er gießt ein. »Ich schlage vor, dass wir vielleicht bei Ihnen zu Hause weiterreden. Falls es sich um eine Entführung handelt, wäre es besser, wenn Sie erreichbar sind. Außerdem möchten wir gerne für den Entführungsfall die

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