Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
Vom Netzwerk:
barfuß? Das machen die afrikanischen Läufer doch auch immer«, dringt es an Tims Ohr. Er hat schon angefangen, seine Sachen in die Sporttasche zu packen.
    Â»Klar, laufen die barfuß. Die haben ja auch keine Kohle«, lacht Dennis jetzt.
    Als Tim das hört, implodiert irgendwas in ihm. »Sei du froh, dass es am Sonntag nur um Schnelligkeit und nicht um Intelligenz geht«, sagt er äußerlich scheinbar ruhig und geht.
    David schaut ihm lange nach. Das ist nicht der Tim, den er seit Jahren kennt.
    Eigentlich wollte er Tim noch vor dem Rennen darauf anhauen. Fragen, ob alles in Ordnung ist. Doch Tim kommt erst ganz kurz vorm Start, läuft mit seinen ausgelatschten Schuhen eine Wahnsinnszeit und ist schon vor der Siegerehrung weg.
    Charlotta stellt sich vor, wie sie die nächste Szene filmen würde. Die Kamera würde auf Tims Hinterkopf zoomen. Er sitzt im Klassenzimmer, mit einer langsamen Bewegung nimmt er die Sonnenbrille ab. Die Kamera erwischt sein Profil. Eine aufgeplatzte Augenbraue wird sichtbar. Natürlich stimmt, was jeder sofort denkt. Die Wunde stammt von einem Schlag.
    Rückblick: Am Abend zuvor ist Tim völlig frustriert nach Hause gekommen. Er fühlt sich so isoliert, so machtlos. Er geht ohne zu zögern zum Kühlschrank, nimmt sich eine Flasche Bier, trinkt sie mit drei Zügen leer. Er stellt die Flasche genau dahin, wo sein Vater das Leergut platziert. Im Kühlschrank liegen nur noch vier Flaschen. Tim legt eine Flasche Wasser daneben. Wahrscheinlich ahnt er schon, wie sehr er seinen Vater damit provoziert. Als dieser zuschlägt, zuckt Tim nicht. Er könnte zurückschlagen. Er ist stärker als sein Vater. Doch er weiß instinktiv, dass er ihn damit ins Bodenlose stürzen würde. Nicht in der Lage, die Familie zu ernähren, das hat dem Mann schon die letzte Selbstachtung genommen. Wenn er sich jetzt von seinem Sohn schlagen lassen müsste, wäre er ein Nichts.
    In der Pause kommt David zu Tim, beißt in seinen Apfel und fragt beiläufig: »Was hast du gemacht?«
    Â»Habe versucht mir die Augenbrauen zu zupfen. Ist wohl schiefgegangen«, weicht Tim aus.
    Die beiden sitzen eine ganz Weile schweigend auf der Schulhofmauer. Als der Gong ertönt, stehen sie wortlos auf und gehen rein.
    Charlotta nimmt ihr T-Shirt. Das gestreifte Lieblingsshirt. Sie hat einfach nichts anderes, um sich den Po abzuputzen. Vorher hat sie die Nähte aufgetrennt, den Faden mit den Zähnen aufgebissen. Auf diese Weise hat sie mehrere Stoffteile. Als sie wieder über dem Eimer hockt, stülpt sich ihr Magen um und sie hat Angst, auch noch brechen zu müssen. Der Gestank, die Erniedrigung: Sie bekommt Schüttelfrost, die Zähne klappern.
    Später legt sie sich in Embryostellung auf die oberste Stufe. Sie hat die Arme um sich geschlungen und fragt sich, wann sie das letzte Mal zu Gott gebetet hat.

Wenn die Nacht wach wird
    J ulius duscht sehr heiß. Der blöde Vorhang weht immer wieder in die Dusche, bleibt auf seinem Körper kleben. Das macht ihn wahnsinnig. Genervt stellt er das Wasser ab. Er muss sich ohnehin beeilen. Bei seiner Joggingrunde hatte er sich verlaufen, ist jetzt spät dran und weiß noch nicht genau, wann der Bus Richtung Klinik fährt. Eigentlich hatte er noch was essen wollen, aber das muss ausfallen. Er wird gucken, was auf den Abendbrottabletts in den Abräumwagen übrig geblieben ist.
    Direkt nach der Team-Besprechung geht er zu Emilia. Was Julius über ihre Genesung gehört und in der Akte gesehen hat, gefällt ihm. Die Werte sehen gut aus. Als er mit dem Daumen ganz leicht über ihren Unterarm streift, zuckt sie. Ein gutes Zeichen. Er hat sich schon abgewandt, als er ihre Worte vernimmt.
    Â»Muss sie retten.«
    Er dreht sich um, wartet einfach. Redet sie im Traum, im finsteren Schlaf? Formt sie die Worte bewusst? In welchem Film ist sie gerade?
    Â»Muss sie retten«, wiederholt sie.
    Wahrscheinlich hätte jede andere Krankenschwester – allein schon wegen des Zeitdrucks – nur beruhigend »ja, ja« gesagt, hätte vielleicht noch eine Hand getätschelt und wäre gegangen. Julius hat diesen Zeitdruck nicht. Er macht den Job noch nicht so lange, um schon diese Hornhaut auf dem Herzen zu haben. Und er spürt, dass eine besondere Intensität in Emilias Stimme liegt. Eine tiefe Verzweiflung. Er spürt, dass sie sich an die Oberfläche kämpft, dass es sehr wichtig

Weitere Kostenlose Bücher