Boeser Traum
wichtig wäre, etwas zu essen. Jetzt knibbeln beide an ihren Brötchen herum, formen kleine Kügelchen.
Sophie hat sich überreden lassen, doch zu ihrem Praktikum zu gehen. SchlieÃlich würde es Emilia nicht helfen, wenn ihre Schwester auch noch kleine Brotkugeln formen würde.
Jetzt sitzt sie an einem Schreibtisch, soll Flyer eintüten. Immer wieder hält sie inne. Ist Emilia jetzt wach geworden? Ist sie für immer in einen Dämmerzustand abgetaucht? Wird sie sie nie wieder anzicken?
Claudine und Uwe sind wieder zu ihrem feindseligen Schweigen übergegangen.
Emilia ist nach der Beruhigungsspritze in ein bilder- und wortloses Tal gefallen.
Charlotta hat den allerletzten Schluck aus der Wasserflasche getrunken. Ganz langsam hat sie die letzten Tropfen die Kehle herunterrinnen lassen. Sie hält die Scherbe in ihrer Hand. Sie drückt nicht zu. Aber sie fragt sich, wie schlimm es werden muss, damit sie sie einsetzt. An der richtigen Stelle.
Julius steht langsam auf. Er ist müde, erschöpft. Er will nur noch ins Bett. Er hatte so sehr gehofft, dass er hier das Schloss für den Schlüssel findet. Er setzt sich wieder auf sein Rad, trampelt die Kilometer wieder zurück. Er legt sich angezogen auf sein Bett, ist nur eine Armlänge vom erlösenden Schlaf entfernt. Da hört er das Stöhnen. Er weià nicht, dass sein Vermieter alleine vorm Fernseher sitzt und sich einen schlecht gemachten Softporno ansieht. Einfach nur stumpf auf den Bildschirm starrt und nichts fühlt. Dieses kurze, kehlige Frauenstöhnen reicht, um Julius hellwach zu machen. Er muss raus. Sofort. Das erträgt er nicht. Jede Zelle in ihm schreit: geh!
Er setzt sich wieder aufs Rad. Was hatte die Frau im Museum gesagt? Im Siepener Tal sei das Klärwerk. Hatte Emilia das gemeint? Er muss es zumindest versuchen. Er verfährt sich dreimal und ist kurz davor, den verrosteten Schlüssel einfach in eine Mülltonne zu werfen. Da faselt ein Mädchen mit kaputtem Kopf irgendwas in ihren wirren Fantasien und er glaubt ihr? Genervt fragt er einen Taxifahrer nach dem Weg und der kann ihm helfen.
Das Klärwerk ist ein schmuckloser grauer Kasten. Er läuft einmal drum herum. Sieht die groÃen Becken, in denen wohl gerade die ganze Kacke aus dem Wasser gefiltert wird. Erstaunlicherweise stinkt es nicht so, wie er befürchtet hatte. Und nun? Soll er da reingehen und die Mitarbeiter bitten, mal kurz gucken zu dürfen, ob im Keller ein Mädchen versteckt sei. Er habe zufälligerweise den Schlüssel für das Gefängnis. Er setzt sich auf eine Mauer und überlegt. Und hat eine Idee.
»Guten Tag«, ruft er freundlich in den leeren Gang.
Aus einem Raum rechts kommt ein älterer Mann. »Guten Tag«, brummt der.
»Ich bin Julius Menzel. Ich muss für die Fachhochschule ein Referat über die Funktion eines Klärwerks machen. Und ich dachte, Sie könnten mir mal zeigen, wie das hier alles so abläuft«, sagt er mit seiner freundlichsten Stimme.
»Das findest du doch alles im Internet«, sagt der Mann mürrisch.
»Da habe ich natürlich schon geguckt. Aber ich dachte, dass ich vor Ort bessere Informationen erhalte. Die Arbeit hier muss doch spannend sein«, schleimt er rum.
Der Mann zieht die Augenbrauen hoch. Er guckt sich zu dem Büro um, aus dem er gerade gekommen ist. Und die Aussicht, einen kleinen Rundgang mit einem Studenten zu machen, ist verlockender, als wieder an den Schreibtisch zu gehen. »Dann komm mit.«
Julius lässt den ganzen Vortrag über sich ergehen. Ãber die Filterbecken, Chemikalien, Wasserproben. Er hört sich an, dass zunächst grob Tampons, Kondome und so ein Mist ausgesiebt werden, wie dann biologisch weiter gereinigt wird, wo der Faulschlamm bleibt. Er hat Mühe, die Augen offen zu halten.
»Schreibst du dir das gar nicht auf?« Der Mann stutzt.
»Ich kann nicht so gut gleichzeitig schreiben und zuhören. Ich merke mir das lieber so.«
Der Mann guckt Julius mitleidig an und bezweifelt, dass der es mal weit in seinem Studium bringen wird.
»Gibt es hier gar keinen Keller?«, fragt Julius endlich.
»Nein.«
»Was?«
»Nein. Warum fragst du? Wozu brauchen wir einen Keller?«
Julius starrt ihn an. Diese blöde Kläranlage hat keinen Keller? Wieso hört er sich fast einer Stunde diesen Mist an? »Schon gut. Ich denke übrigens, dass ich jetzt genug erfahren habe.
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