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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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hier. Sie liegt schon länger im Wasser, die Waschhautbildung an den Händen ist bereits ziemlich ausgeprägt. Wahrscheinlich wurde sie von der Strömung angespült.«
    Pia stand auf.
    »Du meinst, dass sie mit den anderen Jugendlichen gar nichts zu tun hatte?«, erkundigte sie sich.
    »Ich bin hier nur der Rechtsmediziner«, entgegnete Henning. »Das herauszufinden ist dein Job. Fakt ist, dass das Mädchen nicht erst seit heute Abend tot ist.«
    Pia rieb nachdenklich ihre nackten Oberarme und schauderte, obwohl es alles andere als kalt war. Sie blickte sich um, versuchte sich ein Bild dessen zu machen, was hier vorgefallen war.
    »Ich versuche mal, etwas aus der jungen Frau herauszubekommen, die die beiden gefunden hat«, sagte sie. »Lasst das tote Mädchen bitte in die Rechtsmedizin bringen. Ich hoffe, der Staatsanwalt gibt schnell die Genehmigung für eine Sektion.«
    »Warte!« Kröger bot ihr galant seinen Arm, um ihr die Böschung hoch zu helfen, und sie ergriff ihn.
    »Danke.« Pia lächelte kurz, als sie oben angelangt war. »Aber nicht, dass du dir so was angewöhnst.«
    »Ganz sicher nicht.« Er grinste. »Nur wenn du in sommerlicher Abendgarderobe und unpassendem Schuhwerk in unwegsamem Gelände unterwegs bist.«
    »Du hast ein bisschen zu viel Umgang mit Henning.« Pia grinste auch. »Man merkt es an deiner Ausdrucksweise.«
    »Er ist zwar ein überheblicher Mistkerl, aber sein Wortschatz ist unglaublich. Ich lerne bei jedem gemeinsamen Einsatz dazu.«
    »Dann kannst du ja deine Einsätze demnächst als Fortbildung deklarieren. Bis gleich.«
    Kröger hob grüßend die Hand und machte sich wieder an den Abstieg.
    »Ach, Pia?«, rief er. Sie drehte sich um.
    »Wenn dir kalt ist – in meinem Auto liegt eine Fleecejacke.«
    Pia nickte und machte sich auf den Weg zum Rettungswagen.
    *
    Der Abend in Gesellschaft mit den alten Klassenkameradinnen und die unverhoffte Begegnung mit Pia hatten Emma gutgetan. Beschwingt und gut gelaunt schloss sie die dunkelgrüne gregorianische Haustür der großen Villa ihrer Schwiegereltern auf, in der Florian, Louisa und sie im ersten Stock eine ganze Etage bewohnten. Aufgewachsen in einer gesichtslosen Reihenhaussiedlung in Niederhöchstadt hatte Emma sich auf den ersten Blick in das große Haus aus verwittertem rotem Backstein mit seinen Erkern, Türmchen und den weißen Sprossenfenstern verliebt. Sie mochte die hohen stuckverzierten Decken in den Salons, die verglasten Bücherschränke, die Ornamente der Fußböden, das geschwungene filigrane Treppengeländer. Es war charmant. Florians Mutter nannte den Baustil des Hauses Rokoko, Florian selbst bezeichnete ihn abfällig als Zuckerbäckerstil. Kitschig und überladen fand er es, aber er hatte zu Emmas Bedauern auch nicht vor, auf ewig hier zu leben. Sie hätte es für immer hier aushalten können.
    Die Villa stand am Rande eines großen Parks, der bis zum Waldrand reichte. Gleich nebenan befand sich das Wohnhaus des Vereins Sonnenkinder e. V. Bis Florians Vater es in den späten sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erstanden hatte, war es ein Altersheim gewesen, später war noch das gegenüberliegende Gebäude dazugekommen, in dem sich heute die Verwaltung, der Kindergarten und die Schulungsräume befanden. Weiter hinten im Park standen drei Bungalows mit eigener Zufahrt, in denen enge Mitarbeiter von Emmas Schwiegervater mit ihren Familien lebten. Das mittlere Haus war eigentlich einmal für Florian gebaut worden, doch der hatte es vorgezogen, von zu Hause wegzugehen, deshalb war es nun auch vermietet.
    Emma hatte bereits im Auto die Schuhe ausgezogen. Bei der Hitze schwollen ihr schon tagsüber die Knöchel und die Füße an, abends war es fast unerträglich, in Schuhen zu laufen. Die hölzerne Treppe knarrte unter ihrem Gewicht. Hinter den Milchglasscheiben der dreiflügeligen Wohnungstür sah sie einen Lichtschimmer. Sie öffnete leise die Tür und schlich auf Zehenspitzen hinein. Florian saß am Küchentisch, vor ihm sein Laptop. Er war so konzentriert, dass er sie nicht bemerkte. Emma stand eine ganze Weile im Türrahmen und betrachtete die scharfen Konturen seines Profils. Auch nach sechs Jahren vermochte sein Anblick sie noch immer zu faszinieren.
    Dabei war es zwischen ihnen keine Liebe auf den ersten Blick gewesen, als sie sich damals in dem Camp in Äthiopien kennengelernt hatten – sie die technische Leiterin des Projekts, er ihr medizinisches Pendant. Sie hatten sich vom ersten Augenblick an nur

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