Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
und spähte hinunter in den Hof.
»Hanna hat sich noch nie verspätet, ohne Bescheid zu geben, seitdem ich sie kenne«, sagte sie. »Ich mach mir allmählich echt Sorgen.«
»Ach Quatsch.« Meike zuckte die Schultern. »Sie wird schon auftauchen. War eben spät gestern Abend.«
Höchstwahrscheinlich war sie bei einem Kerl versackt. Irgendwas lief da mit einem Mann, das wusste sie genau. Meike kannte die typischen Symptome einer Verliebtheit bei ihrer Mutter nur zu gut. Hatten die Hormone bei ihr erst die Oberhand gewonnen, dann blendete sie alles andere aus. In den letzten Wochen war sie wie verwandelt gewesen, schaltete ihr Handy ab und war manchmal stundenlang nicht zu erreichen. Außerdem hatte sie keinen Ton dazu gesagt, als Meike ihr verkündet hatte, sie werde den Sommer über in der Stadt, mitten in Sachsenhausen, wohnen, statt in ihrem Haus hinter den sieben Bergen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten. Eigentlich hatte Meike Bitten und Tränen und Flehen erwartet, ja, sich insgeheim sogar darauf gefreut, aber Hanna hatte auf ihre Mitteilung kaum reagiert. »Wenn du das besser findest«, hatte sie gesagt – sonst nichts. Wieder mal war ein Kerl wichtiger als sie, hatte Meike gedacht, und nun schien sich ihre Vermutung zu bestätigen. Natürlich hatte Hanna ihr nichts erzählt und Meike hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als zu fragen. Das Leben ihrer Mutter interessierte sie einen Dreck, und wenn sie das Geld nicht so dringend gebraucht hätte, hätte sie sich nie und nimmer darauf eingelassen, diesen Job hier anzunehmen.
»Jemand von uns sollte zu ihr hinfahren und nachsehen.« Jan Niemöller sah übernächtigt aus. Seine Augen waren gerötet, er war unrasiert und nervös. »Hanna war gestern so komisch.«
Klar, die wollte zu ihrem Stecher, dachte Meike verächtlich, verkniff sich aber eine bissige Bemerkung. Negative Äußerungen über ihre Mutter kamen hier nicht gut an. Irina und Jan berieten über die beste Vorgehensweise, und Meike fragte sich, was diese beiden Menschen antrieb.
Es war einfach absurd, wie Jan sich zum Affen machte. Zwischen ihm und Irina schwelte ein permanenter Konkurrenzkampf, der so weit ging, dass sie nicht mal mit vierzig Fieber zu Hause blieben, aus purer Angst, der andere könne in seiner Abwesenheit im Wettstreit um Hannas Gunst Punkte sammeln. Sie lieferten sich regelrechte Eifersuchtsschlachten, wenn es darum ging, wer, wann was mit oder für Hanna tun durfte, und die nutzte diesen albernen Kindergartenkrieg schnöde zu ihrem Vorteil aus.
Irina und Jan diskutierten noch immer. Meike schob den Stuhl zurück, warf sich ihre Tasche über die Schulter und stand auf.
»Ich hab zwar keinen Bock, jetzt bis nach Langenhain zu gurken, aber ich tu’s. Damit ihr endlich eure Ruhe habt.«
»Oh ja, das ist lieb von dir«, sprachen die beiden in einem raren Moment der Einigkeit wie aus einem Mund.
»Falls sie sich zwischenzeitlich meldet, rufe ich dich an.« Irina strahlte erleichtert.
Meike war froh, dem Laden zu entkommen. Heute würde sie ganz sicher nicht mehr zurück ins Büro gehen. Nicht bei dem geilen Wetter.
*
Im K11 war man nach zwei hektischen Wochen vorerst wieder zur Tagesordnung übergegangen. Es gab keine neuen Spuren und Hinweise, das Telefon der Hotline klingelte nur noch selten. In den Zeitungen hatten aktuelle Katastrophen und Ereignisse längst das tote Mädchen aus dem Main aus den Schlagzeilen verdrängt.
Bodenstein allerdings beschäftigte sich intensiv mit dem jüngsten Fall. Er hatte am späten Vormittag ausführlich mit einem Redakteur von Aktenzeichen XY telefoniert und setzte große Hoffnungen in die Sendung. Der einzige Wermutstropfen war der Sendetermin, er fiel ausgerechnet in die erste Woche der hessischen Sommerferien. Auf dem Besuchertisch in seinem Büro hatte er die Fallakte »Nixe« ausgebreitet und stellte die Unterlagen zusammen, die er nächste Woche mit nach München nehmen wollte. Es war nicht das erste Mal, dass Bodenstein in einem Fernsehstudio an die Öffentlichkeit gehen würde. Zweimal hatte die Sendung schon die hilfreichen Hinweise gebracht, die letztlich zur Verhaftung des Täters geführt hatten, ein drittes Mal war sein Auftritt vergeblich gewesen. Er notierte gerade die Fakten, die der Redakteur zusammen mit Fotos und Asservaten vorab brauchte, als es an der Tür klopfte.
»Wir haben einen Notruf, Chef«, sagte Kai Ostermann. »Pia habe ich schon erreicht, sie ist in zehn Minuten hier.«
Sein Blick fiel auf die
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