Böses Herz: Thriller (German Edition)
war, doch in diesem Zimmer lag das Epizentrum ihres Lebens, ihrer Ehe, ihrer Zukunft.
Durch einen tragischen Zwischenfall war ihrem Sohn bei der Geburt die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten und sein Gehirn schwer geschädigt worden. Er konnte weder reden noch gehen oder auch nur alleine sitzen. Seine Reaktionen auf äußere Reize aller Art beschränkten sich auf ein Zwinkern, das aber nur hin und wieder auftrat, sowie auf einen kehligen Laut, den weder Tom noch Janice je würden deuten können. Sie wussten nicht einmal, ob er sie überhaupt erkannte, ob er sie hörte oder ihre Berührungen spürte.
»Er hat sich schmutzig gemacht«, stellte Tom fest, sobald er den Raum betreten hatte und ihm der Gestank entgegenschlug.
»Ich habe erst vor fünf Minuten nach ihm gesehen«, verteidigte sich Janice. »Heute Morgen habe ich sein Bett frisch bezogen und …«
»Das sollten wir nur zu zweit machen. Du hättest warten sollen, bis ich dir helfen kann.«
»Na, da hätte ich lange warten können, oder?«
Tom erklärte leise: »Ich musste heute Morgen früher weg, Janice. Ich hatte keine Wahl.«
Sie atmete tief aus. »Ich weiß, ich weiß. Entschuldige. Aber nachdem ich sein Bett frisch bezogen hatte, musste ich das Bettzeug waschen. Es ist noch nicht mal Mittag, und ich bin schon fix und fertig.«
Sie wollte ans Bett treten, doch er hielt sie zurück. »Lass mich das machen.«
»Du musst doch gleich wieder los.«
»Auf die fünf Minuten kommt es nicht an. Machst du mir bitte ein Sandwich? Ich esse es dann auf der Fahrt nach Tambour.«
Nachdem er Lanny versorgt hatte, ging er weiter in ihr gemeinsames Schlafzimmer und tauschte seinen Anzug gegen Freizeitkleidung. Wahrscheinlich würde noch vor Einbruch der Nacht von ihm erwartet, dass er sich an der Verbrecherjagd beteiligte. Selbst wenn er nur wenig oder nichts zu einem derartigen Unterfangen beizutragen hatte, würde er doch wenigstens symbolisch mitsuchen.
Also zog er Jeans, ein kurzärmliges weißes Hemd und alte Turnschuhe an und ermahnte sich, vor der Abfahrt nachzusehen, ob im Kofferraum noch die Gummistiefel lagen, die er früher immer getragen hatte, wenn er angeln gegangen war.
Früher hatte er eine Menge Dinge getan.
Als er in die Küche kam, stand Janice mit dem Rücken zu ihm. Sie war ganz damit beschäftigt, sein Sandwich zu belegen, sodass er sie sekundenlang beobachten konnte, ohne dass sie es merkte.
Inzwischen war kaum noch zu erkennen, wie hübsch sie gewesen war, als sie sich kennengelernt hatten. Die dreizehn Jahre seit Lannys Geburt hatten einen sichtbaren Tribut gefordert. Ihre einst so graziösen, flüssigen Bewegungen wirkten jetzt abgehackt und barsch, so als hätte sie Angst, jeglichen Antrieb zu verlieren, falls sie alle anliegenden Aufgaben nicht sofort erledigte.
Der schlanke jugendliche Körper, auf den sie damals so stolz gewesen war, war ausgedörrt und inzwischen nur noch hager. Mühsal und Kummer hatten tiefe Falten um ihre Augen gegraben, und die Lippen, um die stets ein Lächeln gespielt hatte, waren ständig in tiefer Enttäuschung nach unten gezogen.
Tom konnte ihr keinen Vorwurf machen, dass sich ihr Äußeres so verändert hatte. Er hatte sich genauso unvorteilhaft verändert. Kummer und Hoffnungslosigkeit waren unauslöschlich in ihre beiden Gesichter gemeißelt. Noch schlimmer war jedoch, dass sich die Veränderungen nicht auf das Äußere beschränkten. Unter der fortwährenden Tragödie, zu der ihr Zusammenleben geronnen war, hatte sich auch ihre Liebe gewandelt. Inzwischen empfand er für Janice eher Mitleid als Leidenschaft.
Als sie geheiratet hatten, hatten sich beide für Jazz und toskanische Küche interessiert. Damals hatten sie davon geträumt, einen ganzen Sommer in Italien zu verbringen, wo sie Kochkurse absolvieren und an sonnengetränkten Nachmittagen die Weine der Region verkosten wollten.
Es war nur einer von vielen Träumen, die zerbrochen waren.
Jeden einzelnen Tag fragte sich Tom, wie lange sie so noch weitermachen konnten. Etwas musste sich ändern. Tom war das klar. Er nahm an, dass es auch Janice klar war. Aber keiner von beiden wollte als Erster die weiße Flagge schwenken und zugeben, dass sie sich bei der Pflege ihres schwerbehinderten Sohnes aufgearbeitet hatten. Keiner wollte als Erster sagen: »Ich kann nicht mehr«, und vorschlagen, das zu tun, was sie nie hatten tun wollen, nämlich Lanny in ein Heim zu geben.
Die guten waren privat und dementsprechend teuer. Aber die exorbitanten Kosten
Weitere Kostenlose Bücher