Böses Herz: Thriller (German Edition)
Mommy ja!«
Coburn lachte schnaubend. »Das glaube ich kaum.«
»Hast du Angst im Dunkeln?«
»Emily«, unterbrach Honor sie. »Hör auf, so viele Fragen zu stellen. Das ist unhöflich. Setz dich an den Tisch und iss dein Sandwich.«
Sie versammelten sich um den Tisch. Die Witwe sah aus, als würde sie tot umfallen, wenn er auch nur »buh« sagte. Sie aß keinen Bissen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ihm war diese häusliche Szene genauso unangenehm wie ihr. Das letzte Mal hatte er mit einem Kind geredet, als er selbst eins gewesen war. Es war merkwürdig, mit einem so kleinen Menschen eine Unterhaltung zu führen.
Nachdem er das Sandwich verschlungen hatte, nahm er sich einen Apfel aus dem Obstkorb auf dem Tisch. Das Kind ließ sich Zeit mit dem Essen.
»Emily, du hast gesagt, du bist hungrig«, mahnte ihre Mutter. »Iss dein Sandwich.«
Aber er lenkte sie zu sehr ab. Die Kleine konnte den Blick nicht von ihm losreißen. Sie beobachtete alles, was er tat. Als er in den frischen Apfel biss, sagte sie: »Ich mag die Schale nicht.«
Er zuckte mit den Achseln und antwortete mit vollem Mund: »Mich stört sie nicht.«
»Und ich mag auch keine grünen Äpfel. Nur rote.«
»Grüne sind schon okay.«
»Weißt du was?«
»Was?«
»Mein Grandpa kann einen Apfel von oben bis unten schälen, ohne dass die Schale abreißt. Er sagt, er mag es, wenn aus der Schale eine lange Locke wird, genau wie meine Haare. Und weißt du noch was?«
»Was?«
»Mommy kann das nicht, weil sie ein Mädchen ist, und Grandpa sagt, so was können nur Jungs. Außerdem hat Mommy auch kein Superzaubermesser wie Grandpa.«
»Was du nicht sagst.« Er warf einen Blick auf Honor, die verlegen die Lippen zwischen die Zähne gezogen hatte. »Was für ein Superzaubermesser hat dein Grandpa denn?«
»Das ist riesig. Er steckt es immer in einen Gürtel, den er sich um den Fuß gebunden hat, aber ich darf es nicht anfassen, weil es so scharf ist und weil ich mich sonst vielleicht schneide.«
»Hm.«
Honor schob geräuschvoll ihren Stuhl zurück und stand entschlossen auf. »Zeit für deinen Mittagsschlaf, Em.«
Das Kindergesicht verzog sich zu einer Maske der Rebellion. »Ich bin aber noch nicht müde.«
»Es ist Schlafenszeit. Komm mit.«
Honors Stimme duldete keinen Widerspruch. Das Kind sah immer noch grimmig zu ihr auf, aber es kletterte gehorsam von seinem Stuhl und tappte aus der Küche. Coburn ließ den angebissenen Apfel auf dem Teller liegen und folgte den beiden.
In dem rosa Rüschenzimmer kletterte das Mädchen aufs Bett und streckte die Füße über die Bettkante. Ihre Mutter zog ihm die Sandalen aus, stellte sie auf den Boden und sagte: »Und jetzt hingelegt. Es ist Schlafenszeit.«
Die Kleine legte den Kopf auf das Kissen und zog eine Decke zu sich her, die so verblichen und zerfranst war, dass sie nicht in das Zimmer zu gehören schien. Sie stopfte sich die Decke unter das Kinn. »Gibst du mir noch meinen Elmo?« Diese Frage richtete sie an Coburn.
Er folgte ihrem Blick und sah neben seinem verschlammten Stiefel ein rotes Stofftier auf dem Boden liegen. Er erkannte das Grinsegesicht von der Flasche mit Flüssigseife wieder. Er bückte sich, hob das Ding auf und schreckte zusammen, als es zu singen begann. Schnell reichte er es der Kleinen.
»Danke.« Sie drückte es an ihre Brust und seufzte glücklich.
Coburn kam der Gedanke, dass er sich nicht erinnern konnte, je eine so tiefe Zufriedenheit empfunden zu haben. Er fragte sich, wie es wohl war, einzuschlafen, ohne dabei befürchten zu müssen, dass man vielleicht nicht wieder aufwachte.
Honor beugte sich vor und gab dem Kind einen Kuss auf die Stirn. Ihre Tochter hatte die Augen schon geschlossen. Ihm fiel auf, dass ihre Lider fast durchsichtig wirkten. Kleine lila Adern verliefen kreuz und quer darauf. Wenn er je zuvor die Lider eines anderen Menschen so aufmerksam betrachtet hatte, dann hatte ihn dieser Mensch Sekunden später mit einer Waffe bedrohen wollen. Und fast immer war derjenige gestorben, ohne dass das verräterische Blinzeln gebrochen worden wäre.
Als sie das Zimmer verließen, sang das Spielzeug immer noch sein albernes Liedchen. Honor zog die Tür hinter ihnen ins Schloss. Er warf einen Blick auf die Kartons, die aufgereiht an der Wand warteten, zog dann ihr Handy aus seiner Hosentasche und reichte es ihr. Sie sah ihn fragend an.
»Rufen Sie Ihren Schwiegervater an. Sie wissen schon, den, der sich immer fit hält. Den mit dem großen Zaubermesser.
Weitere Kostenlose Bücher