Böses Herz: Thriller (German Edition)
erschießt«, was Crawford dem Team auch in fünf Sekunden statt in fünfunddreißig Minuten hätte erklären können.
Anschließend hatten sie sich in drei Polizeiwagen gequetscht und waren durch Nebel und Dunst gekreuzt, bis die Wege nach vierzig Minuten, die sich für Crawford wie Stunden angefühlt hatten, selbst für Wagen mit Allradantrieb unpassierbar wurden und sie aussteigen mussten.
Außerdem wollte Crawford vermeiden, dass der Motorenlärm sie verriet. Nachdem sie die letzte Strecke zu Fuß zurückgelegt hatten, hockten sie jetzt unter den Bäumen und warteten auf ein Lebenszeichen auf dem Boot, von dem das Handysignal ausgestrahlt worden war. Crawford konnte kaum glauben, dass hier irgendwo ein Sendemast stand, aber er würde weder die göttliche Vorsehung noch die Umsicht der Netzbetreiber anzweifeln.
Inzwischen brach bereits der Tag an, aber im Osten war der Horizont so wolkenverhangen, dass der Sonnenaufgang die düstere und beklemmende Atmosphäre kaum aufhellte. Das Wasser im Bayou, das nach dem Regenguss gestern Abend noch höher zu stehen schien, bewegte sich ebenso wenig wie das Spanische Moos, das in fetten Klumpen von den Ästen hing. Selbst den Vögeln war es noch zu früh. Dicht wie Baumwolle lag die Stille über dem Sumpf.
Crawford winkte die Männer vorwärts. Auf dem letzten Stück zwischen den Bäumen und dem Ufer mussten sie wohl oder übel riskieren, dass sie gesehen wurden. Sobald Crawford das Boot erreicht hatte, ging er in die Hocke, überprüfte seine Waffe und kletterte dann so leise wie möglich über die Reling an Deck. Die anderen folgten ihm, doch Crawford war trotzdem der Erste, der das Ruderhaus betrat, der einen wüsten Fluch und eine Bewegung unter Deck hörte, und der Erste, der auf den Mann am Fuß der Stufen zielte.
Mit erhobenen Händen kletterte Stan Gillette aus dem Aufgang ins Ruderhaus. In einer Hand hielt er ein Handy. »Deputy Crawford. Sie kommen zu spät.«
Er hatte die Kleine zum Weinen gebracht.
Sobald er ihr das Handy aus der Hand gerissen hatte, hatte sie einen Schrei ausgestoßen, mit dem man Tote aufwecken konnte. Jedenfalls hatte sie ihre Mutter damit aus dem Tiefschlaf geholt.
Er hatte das heulende Kind hochgehoben, es über seine Schulter geworfen und mit der freien Hand nach Elmo und seiner Kuscheldecke gegriffen. Beides hatte er ihm in die speckigen Ärmchen gedrückt, dann hatte er Honors Hand gepackt und sie allen Protesten zum Trotz die Stufen hinauf und durch das Ruderhaus an Deck gezerrt.
Allein hätte er höchstens ein paar Minuten gebraucht, um das Boot zu verlassen, das Bayou zu durchwaten und eine gute halbe Meile durch den schmatzenden Morast bis zu der Stelle zu joggen, an der er den Pick-up abgestellt hatte. Selbst im Halbdunkel vor der Morgendämmerung hätte er diese Gegend in einem Bruchteil der Zeit hinter sich gelassen, die er jetzt brauchte, um die beiden auch nur vom Boot zu bekommen. Im ersten Moment hatte Honor davor zurückgescheut, ins Wasser zu springen, doch er hatte sie einfach geschubst, und tatsächlich war sie gleich darauf durch das flache Wasser ans Ufer geplatscht. Zweimal war sie auf ihrer rasenden Flucht zum Pick-up ins Stolpern gekommen.
Und die ganze Zeit hatte sich das Kind an seinem Hals festgekrallt und ihm immer wieder ins Ohr geplärrt: »Das hab ich nicht gewollt.«
Als sie den Pick-up erreicht hatten, heulte Emily immer noch. Er hatte sie Honor in die Arme gedrückt, die mit ihr auf den Beifahrersitz geklettert war. Er hatte die Tür zugeschlagen, war um die Motorhaube gerannt, hatte sich in den Fahrersitz geworfen und den Schlüssel in die Zündung gerammt. Anfangs hatten die Reifen im Schlamm durchgedreht, doch dann hatten sie gegriffen, und der Pick-up war in einem Satz nach vorn gestartet.
Inzwischen waren sie ein gutes Stück von dem Krabbenkutter entfernt, trotzdem blieb er auf der Hut. Honors Handy hatte mit Sicherheit wie ein Leuchtturm in die Nacht gestrahlt und die Polizei direkt zu ihnen geführt. Und sobald feststand, dass sie nicht mehr an Bord waren, würde die Jagd wieder aufgenommen.
Er wusste nicht, wann die Kleine das Handy ihrer Mutter eingeschaltet hatte. Ein paar Minuten bevor sie ihn geweckt hatte? Oder ein paar Stunden? Er musste mit dem Schlimmsten rechnen, und in diesem Fall konnte er von Glück reden, dass sie überhaupt entkommen waren. Bestenfalls hatten sie einen kleinen Vorsprung herausgeholt.
Darum blendete er das schluchzende Kind und die Mutter so gut es ging aus
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