Boeses mit Boesem
gezeigt hatte. Nur waren die Ringe unter seinen Augen dunkler und die Falten in seinem Gesicht tiefer. Er trug einen grauen Regenmantel über einem maßgeschneiderten Anzug, der die Farbe der Nacht hatte. Sein Haupt war vor dem Auge Gottes entblößt.
|229| Stonebridge war offiziell nur ein Beamter des Heimatschutzministeriums und stand hierarchisch weit unter allen anderen Persönlichkeiten auf dem Podium. Der Grund für seine Anwesenheit wurde eine Minute später klar: Er war nur die Vorgruppe. General Simeon Glass betrat die Konzertbühne, die linke Hand um einen schwarzen, glänzenden Stock gelegt, für den er noch zu kräftig war und den er nur zu Showzwecken brauchte. Sein Anzug hatte dieselbe Farbe wie der von Stonebridge, abgesehen von der Batterie von Orden und Ehrenzeichen, die auf seiner Brust glänzten. Ich konnte nur sein Profil sehen. Es war die gute, unverletzte Seite, aber das Gesicht strahlte trotzdem in gleichem Maße Macht und Hass aus.
Ich war so auf Glass konzentriert, dass ich beinahe den Ehrengast übersehen hätte. Der Außenminister Dr. Reverend F. Lincoln Howe bestieg das Podium und platzierte sich am Lesepult. Es sah so aus, als wäre er derjenige, der die Grabrede halten würde, nicht Kirovs Pfarrer.
Den größten Teil von Howes Laufbahn hatte seine Kirche aus ein paar gemieteten Räumen in einer Einkaufsmeile von Santa Barbara und einem Postfach bestanden. Er kommunizierte mit seiner Herde mittels Büchern, Videos und allem, was sich sonst noch per Post bestellen ließ. Er hatte wenig formale Bildung – der Doktor war eine Ehrendoktorwürde des Theologieseminars von Dallas, die ihm im vergangenen Jahr verliehen worden war –, aber das hatte Tausende von Menschen nicht daran gehindert, ihr Leben ganz nach seinen Vorschriften auszurichten. Es war bekannt, dass er biblische Strafen für Homosexualität und Götzenanbetung forderte, aber ich hatte nie gehört, dass er sich das auch für Ehebruch und unlauteres Begehren wünschte.
Die Musik verstummte und ließ eine ehrerbietige Stille zurück. Über dem linken Lautsprecherturm erwachte ein großer Bildschirm blinkend zum Leben. Howe blinzelte durch |230| seine Brillengläser und sah mit einem Gesicht auf die Menge hinaus, das mindestens ein Stockwerk hoch war.
»Piotr Kirov wurde in Brighton Beach geboren. Seine Eltern waren fromme Christen, die vor dem gottlosen sowjetischen Kommunismus geflohen waren. Der kleine Piotr hatte eine harte Kindheit. Seine Familie fing mit nichts an. Seine Mutter war Kellnerin in einem Restaurant und sein Vater fuhr Taxi. Sie jammerten weder noch forderten sie Almosen. Sie arbeiteten und kamen mit Gottes Hilfe auf die Beine.
Der junge Kirov arbeitete genauso hart. Er ging mit einem Stipendium an die Columbia University und studierte dann Jura in Yale. Viele andere junge Männer würden solche Segnungen als einen Freifahrschein zu materiellem Wohlstand betrachten. Er hätte für ein großes Unternehmen arbeiten, teure Anzüge tragen und seine Herkunft vergessen können.
Stattdessen arbeitete Piotr als Staatsanwalt für die New Yorker Bezirksstaatsanwaltschaft und wurde dann Generalstaatsanwalt des Südlichen Bezirks von New York. Meine Freunde, Piotr Kirov war eine Erfolgsgeschichte, die es so nur in Amerika geben konnte.«
Viele Zuhörer brachen bei der Erwähnung des Namens ihres Landes in Applaus aus. Das war eine reflexartige Reaktion aus Angst, der Nachbar werde vielleicht klatschen und die Leute würden sich fragen, warum man es unterlassen habe.
»Wenn ich sage, dass Piotr sein Leben dem Staatsdienst geopfert hat, ist das tragischerweise buchstäblich zutreffend. Piotr wurde uns von den Armeen Satans genommen, von Männern, die im Heiligen Land und auf unserem eigenen Boden gegen Gottes Plan arbeiten. Diese Menschen, falls man sie überhaupt noch Menschen nennen kann, sind vom Islam, vom Atheismus und von der Welt der Sinnlichkeit verführt worden. Sie kennen keine Gnade, sind völlig gewissenlos und müssen bekämpft werden, wo immer man sie findet.
|231| Piotr ist niemals vor dieser Verantwortung zurückgeschreckt, aber das ist nicht die Lektion, die Gott uns heute lehren will. Meine Freunde, ich weiß, dass manche von euch sich fragen: Warum hat Gott zugelassen, dass böse Menschen uns Piotr wegnehmen? Warum lässt Gott überhaupt den Terrorismus zu? Liebe Brüder und Schwestern, ich will euch etwas aus der Geschichte von Abraham und Isaac vorlesen: ›Und Abraham reckte seine Hand
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