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Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman

Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman

Titel: Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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gerät immer dann in Wallungen, wenn Extreme den Ausschlag geben, wenn die Unausgewogenheit fehlt. Wehe den Schülerinnen und Schülern, die das Pech haben, dass nur die Strafenden tagen, und wehe der Gesellschaft, in der nur die Lockeren das Zepter führen!
    Ich konnte meinen dicklichen Schulleiter noch nicht in Ferienstimmung irgendwo in ein namenloses Fach meiner Fantasie ablegen, denn misstrauisch verfolgte er die Gespräche. Ennos Tod fand erneut eine Würdigung, weil seine sinnlose Tat die Klasse »hatte reifen lassen«, so meinte der Schulleiter.
    Ich war glücklich, dass meine mir Anvertrauten alle die Hürden genommen hatten, es an Querschlägern fehlte, und lächelte vor mich hin, als der Schulleiter, diesmal ohne Lob für meine Arbeit, das Lehrerzimmer verließ. Auch meine Kollegen steckten die Heftchen beiseite und verzogen sich witzelnd.
    Ich grapschte in meiner Jackentasche nach einem Fünfzig-Cent-Stück, ging zum Automaten und ließ den wässrigen Kaffee in einen Pappbecher laufen.
    Irgendetwas hielt mich noch im leeren Lehrerzimmer gefangen. In meinem Fach lag die Zigarettenpackung für alle Fälle. Ich entnahm ihr einen Glimmstängel. Er fühlte sich ausgetrocknet an. Vor mir lagen die Zeugnisliste, die Karteikarten und mein Notenheft.
    Als meine Zigarette glimmte und ich den Rauch einsog, fiel mir mein Kollege Jannes ein. Er unterrichtete nicht in meiner Klasse. Aber mein Misstrauen nach der Direktorenschelte brachte ihn in die von mir gedachte feindliche Ecke.
    Ich schritt an die Stundentafel, die der Schulassistent mit Legosteinen aller denkbaren Farben abgesteckt hatte, und versenkte mich in das Suchspiel, in welchen Klassen er unterrichtet. Sein Programm verlief von unten nach oben. Der Schwerpunkt lag in den 11. und 12. Klassen.
    Neugierig schritt ich an sein Fach. Es war leer und auch die Klassenbücher, die ich nach seinen Eintragungen absuchte, stimmten mich belastend, weil ich mir wie ein Schnüffler vorkam.
    Ich rauchte zu Ende und saß unentschlossen und unzufrieden mit mir selbst vor dem Pappbecher.
    Er hat doch keinen festen Klassenraum!, durchfuhr es mich.
    Ich nahm meine Schulschlüssel und suchte den Raum 122 auf.
    Schulen, die man nur gefüllt mit Lärm und Gedrängel kennt, wirken leer unheimlich. Hinzu gesellte sich der bohrende Vorwurf, den Intimbereich eines Kollegen schnüffelnd zu betreten.
    Die Putzfrauen hatten für Bohnerfrische gesorgt. An der Tafel hing schlapp der Wischlappen. Meinen eigenen Gewohnheiten nachgehend, trat ich an das graue, mit kalter Plastik beschichtete Pult, griff in die Ablage und fand das, was Jannes auch bei mir gefunden hätte. Matrizenabzüge in blassem Blau. Zu viel verarbeitete Arbeitsmaterialien. Ich überflog hastig einige Seiten und las »Klassenarbeit, Analyse der Texte ...« und verließ den Raum.
    Im Parterre begegnete ich dem Hausmeister. »Noch aktiv, Herr Beruto?«, fragte er freundlich.
    »Wissen Sie, wenn man keine Familie hat, ist es gleichgültig, wo man seiner Arbeit nachgeht«, sagte ich lächelnd.
    Im Lehrerzimmer packte ich meine Zeugnisunterlagen in die Tasche und schob Jannes’ Abzüge ungelesen dazu. Ich fuhr direkt nach Hause. Meine Neugierde veranlasste mich, das Schnüffelmaterial zu sichten. Ich kam mir schäbig vor und wunderte mich nicht darüber, denn ich hatte mich einem Zwang untergeordnet, den ich selbst vor meinem Gewissen ablehnen musste. Blatt für Blatt warf ich von mir, dann stutzte ich, als ich las:
    Hymne an die Ehre!
    Kamerad, spürst du den Schmerz?
    Nein, mein Pflaster ist die Ehre, der Verband meine Pflicht!
    Kamerad, siegen wir? Geht es vorwärts?
    Schweig, ich bin ein Schütze, vom deutschen Gericht!
    Kamerad, ich verblute! Schwindel treiben mich abwärts!
    Schweig, ich muss schießen! Hebe hoch dein deutsches Gesicht!
    Ich las das Gedicht, das nur mit einem J. den Autor verriet, erneut, fühlte mit dem Soldaten und wurde plötzlich sehr traurig, weil auch hier der Tod sinnlos war, und Erika, Anja, Enno und Gregor und alle, die ihnen folgen mussten, keine Rechtfertigung vor uns Hinterbliebenen dokumentieren konnten.
    Mich überfiel Wehmut, und Tränen bestätigten mir, dass ich mit meinen Nerven am Ende war. Ich hielt den Abzug lange in der Hand, der noch nicht sehr alt sein konnte, denn der leichte Alkoholgeruch des Verfielfältigers strömte noch von ihm aus.
    Hatte man Enno und die beiden anderen Selbstmörder mit solchen Texten gefüttert, abends in einem Schulungsraum des gräflichen Schlosses?,

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