Boeses Spiel in Oxford
Camillas Tür stand? Eher nicht!
»Sind Sie sicher, dass mir jemand folgen wird?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass es hier um eine wichtige Angelegenheit geht. Ich bin überzeugt, dass man seit Sonntag Ausschau nach Ihnen hält.«
Kate hatte ihm glauben müssen und getan, was man von ihr erwartete, doch sie fühlte sich schrecklich verletzlich, als sie die lange, breite Straße entlangging. Auf allen Dächern konnten Scharfschützen sitzen, und einer von ihnen zielte vielleicht jetzt gerade auf ihren Rücken. Oder auf ihren Kopf. Aber Kenrick war der Meinung, dass ein Mörder eher auf die Brust zielen würde, und Kate hielt Kenrick für sehr glaubwürdig. Er gehörte zu der Sorte von Männern, denen man nur allzu gern sein Leben anvertrauen würde, weil man das Gefühl hatte, sie könnten es in neue Bahnen lenken, und dann würde alles besser laufen. Nicht, dass sie einen solchen Mann brauchte! Sie dachte kurz an George und musste zugeben, dass es schön gewesen wäre, ihn in diesem Augenblick zur Seite zu haben.
Schließlich stand sie vor der Wache, trat ein und fühlte sich endlich sicher.
Nachdem sie ihr Auto als gestohlen gemeldet hatte und die Wache wieder verließ, hatte sie plötzlich das unbestimmte Gefühl, nicht allein zu sein. Inständig hoffte sie, dass es Kenricks Leute waren, die ihr nach Hause folgten und sie beschützten – und nicht nur die von Jester.
Kaum war Kate zu Hause, als das Telefon klingelte. Hastig nahm sie ab und verspürte eine herbe Ernüchterung, als sich Estelle meldete.
»Ich rufe später zurück«, versprach sie. »Im Augenblick bin ich sehr beschäftigt.«
Das entsprach natürlich nicht ganz den Tatsachen. Alles war ohne ihr Zutun organisiert worden. Sie spielte lediglich den Lockvogel, den Köder oder den Strohmann, je nachdem, wie man ihre passive Rolle nennen wollte.
Aber war Estelles Anruf tatsächlich so unschuldig, wie sie annahm? Hätte sie Estelle sprechen lassen, hätte diese vielleicht vorgeschlagen, sich in exakt dreißig Sekunden vor ihrem Gartentor zu treffen, just zu dem Zeitpunkt, wenn ein mordlustiger Motorradfahrer vorbeikam? Schnell machte sich Kate jedoch klar, dass – sollte Estelle sich tatsächlich so intensiv mit Owen Grigg eingelassen haben, dass sie Kate nach dem Leben trachtete – sie sicher innerhalb kürzester Zeit erneut anrufen würde.
Doch das Telefon schwieg beharrlich.
Kate hatte nicht viel zu tun. Im Haus hielten sich Männer einer bewaffneten Einheit auf, desgleichen im Garten und vermutlich auch versteckt in Autos oder Lieferwagen in der Agatha Street. Kenrick und die Beamtin, die Kates Platz einnehmen sollte, saßen in Kates Wohnzimmer, tranken eine Tasse Tee nach der anderen, unterhielten sich über Funk mit ihren Kollegen und gingen Kate auf die Nerven.
Nichts würde passieren. Gar nichts. Sie wusste es. Sie war aus dem Schneider. Oder vielleicht doch nicht? So ganz konnte sie es noch nicht glauben. Sobald Kenrick bemerkte, dass sein Plan gescheitert war, würde er vermutlich lächeln, sie flehend anschauen und sie bitten, das ganze Theater noch einmal zu wiederholen. Nur noch ein einziges Mal. Kate konnte ihn geradezu hören. Er würde ihr vorschlagen, morgen erneut zur Polizei zu gehen und ihren Wagen als wiedergefunden zu melden.
Minuten wurden zu Stunden und schleppten sich dahin. Kate versuchte, sich an ihre Arbeit zu setzen, konnte sich aber nicht richtig konzentrieren. Sie wünschte sich nur noch, dass das gesamte Polizeipack endlich verschwinden und sie in Ruhe lassen würde.
Und dann, als es draußen schon langsam dämmrig wurde, klingelte das Telefon zum zweiten Mal.
»Hallo?«, meldete sich Kate. Kenrick hörte auf einem zweiten Apparat mit, den ein Kollege erst an diesem Morgen installiert hatte.
»Camilla hier. Könntest du bitte so schnell wie möglich kommen?«
Hätte Kate nicht etwas in dieser Art erwartet, wäre sie vielleicht auf den Anruf hereingefallen. Sie suchte Kenricks Blick und schüttelte den Kopf. Das war nicht Camilla.
»Was ist denn los?«, fragte sie. Wahrscheinlich war es gar nicht schlecht, dass sie so erschrocken klang.
»Das kann ich dir jetzt nicht erklären. Komm einfach!«
Die Anruferin legte auf.
»Sind Sie ganz sicher, dass das nicht Ihre Freundin war?«, wollte Kenrick wissen.
»Sie hat zwar nicht sehr viel gesagt, aber ich bin ziemlich sicher, dass es nicht Camilla war. Die Imitation war eigentlich ganz gut, doch es ist schwierig, wie eine Schuldirektorin zu klingen,
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