Boeses Spiel in Oxford
eben zusammen dort. Camilla würde dieses Arrangement sofort verstehen.«
»Klingt, als würde sie es mit der Moral nicht so genau nehmen.«
»Sie ist Schuldirektorin. Ihre Schülerinnen halten sie für eher bieder.«
»Dann hat sie vermutlich geheime Leidenschaften, von denen die Mädchen nichts ahnen.«
»Da könnten Sie durchaus Recht haben«, sagte Kate nachdenklich. Sie erinnerte sich an den ›Jemand‹ im Lake District und an Camillas heiteres Lächeln. »Möchten Sie noch einen Nachtisch? Allerdings habe ich nur Obst im Haus. Und dann könnten Sie uns einen Kaffee machen, während ich mich ein bisschen ausruhe. Danach begleite ich Sie zu Camillas Haus.«
Jeremys Stimmung wirkte ansteckend auf Kate. Sie schlüpfte in schwarze Jeans und Polohemd und zog sich ein schwarzes Sweatshirt über. Ob sie ihren Blondschopf lieber verbergen sollte? Sie setzte eine Baskenmütze auf, die sie verwegen über ein Ohr herunterzog. Attraktiv, dachte sie und legte noch eine Schicht Lidschatten auf.
»Gehen wir vorn raus oder lieber hinten?«, fragte sie Jeremy, nachdem sie wieder heruntergekommen war.
»Die Scheinwerfer nebenan sind inzwischen abgeschaltet. Ich denke, wir können die Haustür riskieren«, antwortete er ernsthaft. Er hatte einen Rucksack dabei, in dem vermutlich Wäsche zum Wechseln war und alles, was er sonst noch für ein paar Nächte außer Haus brauchte. Als er ihn schulterte, klirrte es.
»Ich habe etwas zu essen mitgenommen«, erklärte er. »Ein paar Dosen Suppe und ein wenig Obst. Ich kann ja wohl kaum den Kühlschrank Ihrer Freundin plündern.«
»Es sollte sicher möglich sein, dass Sie sich gegen Mitternacht kurz aus dem Haus schleichen und im 24-Stunden-Supermarkt einkaufen«, erwiderte Kate gut gelaunt.
Jeremy schwang sich den Rucksack über die Schulter. Auch dieser war schwarz.
Zwar glaubte Kate nicht, dass Jeremy sich wirklich in Gefahr befand, doch sie ließ es ihn nicht merken. Zusammen schlüpften sie zur Haustür hinaus und verschmolzen mit den Schatten der Straße. Sie gingen die Fridesley Road hinunter und bogen in das Gässchen ab, wo Camilla wohnte. Wieder einmal fand Kate es überraschend, wie man in unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum von Oxford so schnell von der Stadt auf das Land gelangen konnte. Kaum hatte man die Hauptstraße verlassen, stand man auch schon mitten in einem finsteren Dorf, das allenfalls von Mond und Sternen erhellt wurde. Ein leises Muhen wies darauf hin, dass irgendwo in der Nähe Vieh weidete. Sogar der Ruf einer Eule klang plötzlich durch die Nacht.
Im Dunkeln schien der Weg länger zu sein als sonst, zumal sie langsam gingen, um Schlaglöchern und tiefen Pfützen auszuweichen. Schließlich erreichten sie Camillas Haus.
»Ich glaube, sie würde sich freuen, wenn Sie sich um ihre Pflanzen kümmerten«, sagte Kate, während sie die Tür aufschloss.
Jeremys Gesicht strahlte auf. »Sie hat Pflanzen? Ach ja! Die da ist interessant!«, schwärmte er. Kate sah nur etwas Grünes mit kleinen, weißen Blüten.
»Draußen im Garten ist auch noch Grünzeug, das bestimmt ein wenig Zuwendung vertragen kann«, sagte sie. »Sie brauchen sich übrigens nicht die Mühe zu machen, sich hinter Vorhängen zu verstecken und sich im Dunkeln aufzuhalten. Außer mir weiß wahrscheinlich niemand, dass sie verreist ist. Licht im Haus wäre also völlig normal.«
Trotzdem zog Jeremy die Vorhänge zu, eher er das Licht anknipste.
»Reine Gewohnheit«, sagte er.
»Ich glaube, hier sind Sie sicher.«
»Danke«, sagte er nur. Das Wort sollte vermutlich alles abdecken, was Kate für ihn getan hatte – angefangen beim Abendessen bis hin zu der Zuflucht, die sie ihm besorgt hatte.
»Melden Sie sich ab und zu mal,’ wenn es irgendwie geht«, bat Kate ihn. »Camilla macht es sicher nichts aus, wenn Sie mich von Zeit zu Zeit anrufen.«
»Wird gemacht«, versprach er und sah aus, als wünschte er, sie würde endlich gehen.
»Passen Sie auf sich auf«, mahnte sie.
Er nickte nur.
»Ich bin dann jetzt weg«, sagte sie und schlüpfte so unsichtbar es eben möglich war aus der Tür. Auf dem Rückweg zur Agatha Street überlegte sie, was jetzt mit Jeremy passieren würde. War es überhaupt richtig gewesen, auf seine Wahnvorstellungen einzugehen? Hätte sie ihm nicht besser raten sollen, professionelle Hilfe zu suchen?
Vielleicht brauchte er aber wirklich nur ein wenig Ruhe an einem Ort, der zumindest ein Stück entfernt vom Haus der Fosters und damit vom Schauplatz des Mordes
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