Boeses Spiel in Oxford
haben könnte.
Die Orgel begann zu spielen – irgendein tröstliches Kirchenlied. Kate ließ ihre Augen durch die Bankreihen wandern, konnte jedoch nicht feststellen, ob jemand aus Jeremys Familie gekommen war. Die meisten Anwesenden sahen eher aus wie Kollegen aus der Betonzwiebel, dachte sie. Bis auf ein oder zwei Männer, die prosaischeren Berufsgruppen anzugehören schienen, Bankangestellte, Buchhalter oder Zahnärzte waren und teure Anzüge trugen. Aber vielleicht waren auch sie Wirtschaftswissenschaftler – oder was immer Jeremy gewesen war.
Die Orgel spielte jetzt lauter, allerdings gab es keinen Chor. Jeremys Beerdigung war nicht wichtig genug, um die Sänger von ihren Studioaufnahmen abzuhalten, und weil das Semester erst in etwa drei bis vier Wochen beginnen würde, waren auch noch keine Studenten da, die hätten einspringen können. Kate konsultierte ihr Gottesdienstleitblatt. Die Orgel wurde noch etwas lauter und sehr feierlich. Ein junger, ernst dreinblickender Kaplan trat ein, begrüßte die Gemeinde und begann mit dem Gottesdienst.
Die Trauerfeier gestaltete sich genau so, wie Kate es erwartet hatte. Konventionelle Kirchenlieder, die üblichen Lesungen und eine langweilige Traueransprache, die Harry Joiner in einem zutiefst aufrichtigen Ton vortrug. Der Gesang klang ein wenig dürftig, als hätten die Trauernden die Kirchenlieder seit ihrer Jugend nicht mehr gesungen. Einzig Harry Joiners Stimme übertönte alle anderen; er sang mit Inbrunst und dem ihm eigenen Selbstbewusstsein.
Endlich war der Gottesdienst vorbei. Das Orgelspiel begleitete die Trauergemeinde nach draußen. Auf dem Weg zum Lamb Room , wo die Erfrischungen serviert werden sollten, verspürte Kate plötzlich ein Gefühl von Unzufriedenheit, konnte es aber nicht einordnen.
Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, doch der Wind blies immer noch kräftig, wehte den Frauen unter die Röcke und zerzauste ergrauendes Haupthaar über feisten Akademikergesichtern. Die Gespräche wurden umso lebhafter, je weiter sich die Trauernden von der Kapelle entfernten und sich Wein und Schnittchen näherten. Das haben wir hinter uns gebracht, schienen die Stimmen zu sagen. Jetzt dürfen wir Jeremy Wells vergessen (so hieß er doch, oder?) und unser Leben weiterleben.
Der Lamb Room befand sich in dem im achtzehnten Jahrhundert angebauten Teil des Colleges. Wie zu erwarten war er schön geschnitten und hatte hohe Fenster, die den Blick auf welke, aber widerstandsfähige, sich im Wind biegende Stauden und drohende, dunkle Wolken freigaben. Frauen in schwarzen Kleidern und Männer in weißen Jacken reichten Tabletts mit Rot- und Weißwein herum. Die Gläser waren klein, als wolle man die Gäste nicht zu einem zu ausgedehnten Aufenthalt ermutigen. Man unterhielt sich mit leiser, dem Anlass angemessener Stimme. Dann und wann vergaß jemand, dass es sich um eine Trauerfeier handelte, und brach in schallendes Lachen aus, das er aber sofort wieder zu unterdrücken versuchte.
»Ich war schon immer der Ansicht, dass es auf Beerdigungen lustiger zugeht als auf Hochzeiten. Sie nicht?«
Es war Alec Malden, der sich unbemerkt angepirscht hatte und plötzlich links von Kate auftauchte.
»Wenn der Verblichene nicht einmal vierzig Jahre alt war, besteht meiner Meinung nach nicht viel Grund zur Fröhlichkeit«, konterte Kate.
»Ich dachte, Sie hätten Jeremy kaum gekannt.«
»Richtig. Aber immerhin war er mein direkter Nachbar«, sagte Kate. »In den letzten Wochen habe ich mir manchmal Sorgen um seinen Geisteszustand gemacht und werfe mir jetzt vor, dass ich mich nicht mehr um ihn gekümmert habe. Wie ich sehe, sind nicht gerade viele Leute hier, die nichts mit seiner Arbeit im College zu tun haben.«
»So sind Akademiker nun einmal: nüchterne Menschen, die ausschließlich für die Wissenschaft leben«, entgegnete Alec, ohne auf ihre anderen Äußerungen einzugehen.
Beinahe hättest du mich hereingelegt, dachte Kate, brachte es aber fertig, den Mund zu halten.
»Immerhin eine rege Beteiligung«, sagte Alec und blickte sich um.
»Stimmt.« Wahrscheinlich die übliche Beteiligung seitens des Colleges, dachte sie. Und höchstens ein oder zwei zusätzliche Besucher.
»Da ist jemand, den ich unbedingt sprechen muss«, sagte Malden gerade.
»Einen Augenblick noch!« Kate betrachtete die elegante Gestalt unter dem schwarzen Hut, der ihr Gesicht verdeckte. »Wer ist die Frau?«, fragte sie geradeheraus, weil sie merkte, dass Alec Malden ihr recht unverblümt zu
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