Boeses Spiel in Oxford
die Tropfen beinahe horizontal vor sich her. Weil ein solider Regenschirm den gewünschten Effekt ihres Outfits ruiniert hätte, leistete Kate sich ein Taxi. Glücklicherweise gelang es ihr, den Weg vom Taxi zum Portal der Kapelle ohne größere Beeinträchtigung ihres Erscheinungsbildes zurückzulegen.
Kate war schon öfter in der Kapelle des Bartlemas gewesen – einmal sogar zu einem Trauergottesdienst für ein Mitglied des Kollegiums. Damals hatte sie in der Entwicklungsabteilung des Colleges gejobbt. Den Mann, dessen mit der Trauerfeier gedacht wurde, hatte sie nie persönlich kennen gelernt. Doch dieses Mal war es anders.
Der Sarg stand bereits auf einem Katafalk im Mittelschiff und sah aus, als wäre er aus gutem, edlem Holz – vielleicht sogar Mahagoni. Auf dem Sarg lag ein Kranz aus weißen und gelben Blumen, die Floristenhände in eine unnormale Form gezwungen hatten. Kate fand es schwierig, sich den schmalen Körper von Jeremy Wells unter so viel opulentem Zierrat vorzustellen. Ein weiteres Blumengesteck, ebenfalls in weiß und gelb gehalten, stand auf dem Altar und sah genauso steif aus wie der Kranz. Bartlemas hatte sich für den toten Jeremy wirklich nicht lumpen lassen, auch wenn er dem College zu seinen Lebzeiten mehr oder weniger gleichgültig gewesen war.
Kate setzte sich in eine der hinteren Reihen. Da die Bänke parallel zum Mittelschiff angeordnet waren, hatte sie von ihrem Platz aus eine gute Sicht auf die nach und nach zahlreicher werdende Trauergemeinde. Zufrieden konstatierte sie, dass sie nicht nur gut in der Zeit lag – tatsächlich war sie eine der Ersten gewesen –, sondern auch zu den am besten Gekleideten gehörte.
Die Kapelle des Bartlemas-Colleges war in der für Oxford typischen T-Form gebaut und berühmt für seine Deckenmalerei. Diese Fakten hatte Kate in der Zeit, als sie in der Verwaltung arbeitete, pflichtbewusst auswendig gelernt. Jetzt saß sie da, betrachtete das Deckengewölbe und bewunderte die gemalten Engel, die mit großen, merkwürdig aussehenden Musikinstrumenten offenbar den Allmächtigen priesen. Um ihre Köpfe wallten Spruchbänder, die Kate an die Sprechblasen in Comics erinnerten. Sie legte den Kopf in den Nacken und versuchte, die Inschriften zu lesen, doch jahrhundertealter Kerzenruß machte es ihr unmöglich.
Plötzlich hörte sie das Klappern hoher Absätze auf den Steinfliesen. Eine hochgewachsene, sehr schlanke und ganz in Schwarz gekleidete Gestalt trat ein. Auch ihr Hut war schwarz. Sie bewegte sich elegant und selbstbewusst wie ein Model auf dem Laufsteg und steuerte zielstrebig eine der vorderen Reihen an. Der Mann, der hinter der Dame hertrottete, hatte offenbar Mühe, Schritt mit ihr zu halten. Erst im Vorübergehen erkannte Kate, dass es sich um Harry Joiner, den Rektor des Colleges, handelte. Selbst angesichts eines Todesfalls schien er den munteren Gesichtsausdruck nicht ablegen zu können, der Kate bereits in Alec Maldens Büro aufgefallen war. In seinem schwarzen Anzug mit der dunklen Krawatte wirkte er wie der Abteilungsleiter eines Supermarktes, der einem geschätzten Kunden diensteifrig den Weg zur Käsetheke weist. Überhaupt konnte Kate sich den Mann eher in der Geschäftswelt vorstellen als bei der akademischen Diskussion mit einem Professor.
Aber wer war diese Frau? Etwa Jeremys Freundin – die Dame mit dem blauen Auto? Zwar hatte Kate sie in der Agatha Street nur wenige Sekunden beobachten können, doch die junge Frau in der Kapelle entsprach ihr vom Typ her ganz und gar. Unter dem Hut waren weder Gesicht noch Haar zu erkennen, doch Kate war so gut wie sicher, dass es sich um dieselbe Frau handelte. Und dann fiel ihr ein, dass Jeremy steif und fest behauptet hatte, die Dame wäre nicht seine Freundin. Tatsächlich hatte Kate, abgesehen von Jeremys eigener Aussage, dass er geschieden war und somit eine Ex-Frau existieren musste, nirgends einen Hinweis auf eine Frau in seinem Leben gefunden.
Allmählich füllten sich die Reihen. Kate erkannte ein paar Professoren und einige frühere Arbeitskollegen aus der Entwicklungsabteilung und der Quästur, denen sie zynisch unterstellte, eher an einer arbeitsfreien Stunde interessiert zu sein, als einem kaum bekannten Mitglied des Lehrkörpers die letzte Ehre erweisen zu wollen. Hoffentlich bemerkte man sie nicht! Kate war in der Verwaltung nicht besonders beliebt gewesen, und es gab keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Meinung ihrer ehemaligen Kollegen in den letzten Jahren geändert
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