Boeses Spiel in Oxford
bog nach links in Richtung Oxford ab. Inzwischen hatte der Berufsverkehr eingesetzt, und der Rückweg dauerte länger als der Hinweg. Erst deutlich nach sieben Uhr erreichte Kate die Agatha Street.
Sie schloss die Haustür auf und freute sich, dass sie das Lämpchen angelassen hatte. Sofort ging sie ins Wohnzimmer, aber dort saß jemand auf ihrem rosa Sofa.
»Roz!«
»Hallo«, sagte ihre Mutter. »Ich wollte gerade aufgeben und wieder nach Hause gehen. Soll ich dir vielleicht ein Glas Wein einschenken? Ich habe einen recht annehmbaren Sauvignon mitgebracht.«
»Danke«, sagte Kate verzagt. »Wie bist du reingekommen?« Sie nahm ihrer Mutter das Glas aus der Hand und warf einen Blick auf den Schnellhefter mit der Aufschrift »Jester«. Glücklicherweise sah er nicht besonders interessant aus und schien sich noch genau an der Stelle zu befinden, wo sie ihn hingelegt hatte. Auch Jeremys Haustürschlüssel war noch da.
»Harley Venn hat deinen Schlüssel immer unter einem Blumentopf in seinem Garten versteckt.«
»Das ist ja Ewigkeiten her! Ich hatte es schon völlig vergessen.«
»Das dachte ich mir«, sagte ihre Mutter. »Und auch Harley scheint ihn vergessen zu haben. Aber er war da, und er funktionierte auch noch.«
»Das sehe ich.«
»Bist du etwa sauer?«
»Nein, natürlich nicht. Nur ein bisschen überrascht.«
»Und was ist in dem geheimnisvollen Päckchen da?« Roz setzte sich wieder auf das rosa Sofa und vertiefte sich in ihr Weinglas.
»Nichts sonderlich Interessantes. Das Krankenhaus in Dayton, wo Jeremy nach dem Unfall hingebracht wurde, hat mich gebeten, seine Sachen abzuholen.«
»Wie sind sie denn ausgerechnet auf dich gekommen?«
»Ich war zufällig gerade drüben im Haus, als das Telefon klingelte. Wahrscheinlich haben sie angenommen, ich sei mit ihm verwandt, und es hätte viel zu lange gedauert, ihnen den Sachverhalt zu erklären.«
»Dann bin ich also nicht die Einzige, die weiß, wo man in der Agatha Street seine Ersatzschlüssel versteckt.« Roz grinste süffisant.
»Jeremy hat mir seinen Schlüssel gegeben, ehe er fuhr. Er hat mich gebeten, seine Pflanzen zu gießen.«
»Damit ist klar, dass er dich nicht besonders gut kannte.«
»Immerhin leben sie noch.«
»Und? Was hast du beim Herumstöbern gefunden? Etwas Interessantes?«
»Nichts. Ich meine – ich habe nicht gestöbert.«
»Dann lass uns wenigstens einen Blick in diese Plastiktüte werfen.«
Kate empfand einen merkwürdigen Widerwillen dagegen, das von Mrs Chess ordentlich zugeklebte Päckchen zu öffnen. Während sie noch zögerte, hatte Roz es schon in Beschlag genommen.
Das Krankenhaus hatte ihnen zumindest Jeremys Kleidung erspart. Wahrscheinlich war sie vom Pflegepersonal aufgeschnitten worden, als man Jeremy Erste Hilfe leistete, und anschließend hatte man sie wohl verbrannt. Zumindest hoffte Kate, dass es so war. Sie fanden einen ganz normalen Ledergürtel und Schuhe – Deckschuhe aus braunem Leder.
Kate schaute zu, während sich Roz durch den mageren Inhalt des Päckchens arbeitete. Irgendwann geriet ihr eine durchsichtige Plastiktüte in die Finger, die eine Brieftasche, einen Schlüsselbund und andere Kleinigkeiten enthielt. Roz leerte die Tüte aus.
In der Brieftasche waren etwa fünfzig Pfund in bar, mehrere Kreditkarten, ein Führerschein und der Universitätsausweis. Unter den Kleinigkeiten befand sich ein Zettel, auf dem Jeremy etwas notiert hatte. Kate erkannte seine Schrift. Der Zettel war mit Blut durchtränkt – Jeremys Blut, dachte Kate –, und man konnte nur noch wenige Buchstaben erkennen. Jes… Cla… Lowe… Worc…
Das erste Wort konnte Jester bedeuten, das letzte möglicherweise Worcestershire. Wie eine normale Adresse sah das Ganze nicht aus, denn dazu fehlten sowohl eine Hausnummer als auch der Name des Ortes. Aber vielleicht handelte es sich ja um die Anschrift eines jener noblen Landsitze, deren Adresse lediglich aus dem Namen des Anwesens, dem Dorf und der Grafschaft bestand. Wenn diese Vermutung zutraf, dann handelte es sich hier wohl um Jesters Adresse. Leider konnte Kate nicht genügend Buchstaben entziffern, um sie zu rekonstruieren. Aber es bedeutete, dass Jeremy auf dem Weg zu Jester gewesen war, als er – tja, was? – von der Straße abkam? Oder war er vielleicht abgedrängt worden?
»Was sollen wir mit dem Zeug machen?«, fragte Roz.
»Ich bringe es nach nebenan. Ich habe keine Ahnung, wer sich um seine Angelegenheiten kümmert. Ich weiß nicht einmal, ob er ein
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