Boeses Spiel in Oxford
dass es um Erpressung ging, konnte mir aber nicht vorstellen, dass Jester etwas so Geschmackloses tun würde. Bleus Vorlieben waren unüblich – und lächerlich – genug, dass sie ihm in der Finanz- und Bankenwelt Schaden zufügen konnten, wenn sie der Öffentlichkeit zu Ohren kämen. Aber würden sie tatsächlich zu seiner Entlassung oder seinem Rücktritt führen? Ich hatte da meine Zweifel. Mehr, als dass man sich öffentlich über ihn lustig machte, konnte meiner Meinung nach nicht geschehen. Ich stellte mir vor, dass sie bei Bleu ebenso vorgehen würden wie bei mir – und in meinem Fall war weiß Gott keine Erpressung nötig. Nein, sie hatten seine Schwachstelle gefunden und boten ihm mehr von diesen Vergnügungen, damit er mit ihnen kooperierte. Dickere Frauen. Tollere Schlammbäder. Es ist wie eine Sucht. Man kann sich nicht davon freimachen. Das weiß ich aus Erfahrung.
Als ich Red (so wurde sein Name abgekürzt) das nächste Mal traf, fragte ich ihn danach, doch er meinte, es wäre besser für mich, wenn ich so wenig wie möglich erführe. Ich hatte den Verdacht, dass er mir einen Stapel Zehnpfundnoten über den Tisch reichen wollte, um mich ruhig zu halten. Der Gedanke und die damit verbundene Verachtung konnte ich ihm deutlich am Gesicht ablesen, doch glücklicherweise besann er sich. Einige Tage später erhielt ich eine Nachricht, dass eine gewisse Summe auf meinem Bankkonto in Dublin eingegangen war, doch das ist eine andere Geschichte. Und dann, Anfang August, bekam ich eine Nachricht von Jester. Der Ton unterschied sich deutlich von seinen bisherigen Mitteilungen. Ich spürte eine unterdrückte Erregung, eine Beschleunigung der Gangart, als ob seine Pläne endlich Früchte trugen. Bleu würde von Chamalières aus aufbrechen. Ich sollte nach Bordeaux fahren, wo ich Kollegen hatte, denen ich einen Besuch abstatten konnte. (Die Frage, ob meine Kollegen im August überhaupt zu Hause waren, interessierte Jester nicht im Geringsten.) Bleu und ich würden uns in einem Café in der Stadt wie durch Zufall treffen, und er würde mir ein kleines, aber sehr wertvolles Päckchen überantworten, das ich nach England bringen und an Red weitergeben sollte.
Ich wollte mehr wissen. Ich musste in Erfahrung bringen, ob das, was ich nach England bringen sollte – ganz gleich, um was es sich handelte –, gestohlen oder auf andere Weise illegal war. Auf keinen Fall wollte ich ins Gefängnis wandern, weil ich etwa Drogen ins Land brachte, und ich ging davon aus, dass das meine Aufgabe sein sollte. Die Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, was sich in besagtem Päckchen befand, erschien mir ein äußerst dürftiges Argument zu sein, das im Zweifel weder einen Zöllner noch einen Richter beeindrucken würde.
Jester reagierte schroff. Er wollte keine Erklärung liefern. Schließlich gab er zu, dass es natürlich richtig war, dem Zoll möglichst aus dem Weg zu gehen, weil das Auffinden des Objekts recht unerfreuliche Folgen für uns hätte haben können. Nach einem kurzen, nicht sehr heftigen Streit versprach er mir, mich mit einem auf einen anderen Namen lautenden Pass auszustatten. Falls ich wirklich festgenommen werden sollte, würde mir das Dokument eine gewisse Anonymität zusichern – davon war ich, vermutlich fälschlicherweise, überzeugt. Ab diesem Zeitpunkt verhandelte Jester nicht mehr persönlich mit mir. Ich wurde einem anderen Mann namens »Stoker« zugeteilt, der sich um den Pass kümmerte. Ich lieferte ihm die entsprechenden Fotos. Bei dieser Gelegenheit kam ich auf den eher dummen Einfall, eine Perücke zu tragen, um nicht erkannt zu werden. Mein Haar ist eins meiner hervorstechendsten Merkmale – wahrscheinlich das einzige, wenn ich ehrlich bin –, und ich hielt es für eine gute Idee, es zu verbergen. Jesters Verhalten warf für mich die Frage auf, wie lange der lukrative Geldsegen noch weitergehen würde. Wäre ich für meine Geldgeber noch von irgendwelchem Nutzen, nachdem ich das Päckchen in England abgeliefert hatte? Die Dinge lagen längst nicht mehr so einfach wie zu Anfang, aber ich konnte nicht mit Jester darüber reden. So zivilisiert dieser Mann auch an der Oberfläche wirken mochte – unter seinem weltgewandten Verhalten verbarg sich eine Skrupellosigkeit, die mir Angst machte. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle bemerken, dass ich nach dem Treffen in dem Hotel in Brüssel Jester niemals wieder zu Gesicht bekam. Wir hielten den Kontakt ausschließlich über das Telefon – er
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