Boeses Spiel
wissen, wo du bist.«
Er umarmte mich. Er kam mit seinem Mund ganz nah an mein Ohr und flüsterte: »Vergiss Naddel, lass sie einfach links liegen.«
»Okay, ich versuch’s«, wisperte ich zurück.
»Du bist okay«, murmelte Ravi. Und solange ich in seiner Nähe war, glaubte ich ihm.
Das meine ich, wenn ich immer wieder sage, dass Ravi ein ganz besonderer Typ war. Er ertrug keine Gemeinheiten und er stellte sich immer auf die Seite der Schwächeren.
Ach, Ravi. Du warst viel besser, viel erwachsener als alle anderen.
Naddel drehte sich sofort weg. Und die anderen nahmen augenblicklich, als sei nichts gewesen, ihre Gespräche wieder auf. Ravi zog mich weiter. »Hast du Lust, meinen Vater kennenzulernen?«, fragte er.
»Klar«, flüsterte ich, restlos erschöpft und zugleich unendlich dankbar. Ravi hatte mich gerettet.
»Seit wann bist du aus dem Krankenhaus zurück?«, fragte ich, während wir an den Leuten vorbeischlenderten, als wäre dies eine ganz normale Übung. Lässig plaudernd, mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Gestern«, sagte Ravi. »Ich hab die gezwungen, mich rauszulassen. Krankenhäuser sind die Hölle. Dagegen ist das hier das Paradies.«
Ich war nicht ganz seiner Meinung, aber ich sagte lieber nichts.
Ravis Vater war umringt von Leuten. Ich entdeckte Direktor Lohmann (offenbar war die Begrüßung der Gäste inzwischen abgeschlossen), dazu Frau Clausen, Dr. Simonis, den Musiklehrer und die Frau, die die Bibliothek des Erlenhofs ehrenamtlich betreut. Sie hat so einen adligen Titel, Alexandra Freifrau von Arnim. Aber sie ist immer nett zu mir gewesen.
Ravis Vater fiel unter den weißen, europäischen Gesichtern sofort auf. Er hatte glänzend schwarze Haare, die ihm fast bis auf die Schultern fielen, und er trug einen seidenen Kurta-Pyjama, einen indischen Herrenanzug. Er sah einfach umwerfend aus. Die anderen redeten alle auf ihn ein, und er hörte, wie es schien, zu, aber seine Augen streiften umher. Als er seinen Sohn entdeckte, hob er beide Arme und rief: »Ravi! Komm zu mir!«
Ich konnte spüren, wie stolz Ravi auf ihn war.
Er nahm meine Hand und zog mich mit in den Kreis. Er lächelte. »Vater, darf ich dir eine Freundin aus der Schule vorstellen. Das ist Svetlana.«
Ravis Vater schaute mich an, freundlich-intensiv, und ich dachte, er sieht in mein Inneres, es war ganz merkwürdig.
»Dann bist du das Mädchen mit dem Stipendium«, sagte er.
Ich nickte. Er gab mir die Hand.
»Kompliment, Svetlana.« Er sah mich unverwandt an. »Ich hab gehört, du bist ein Mädchen, das hart arbeitet.«
»Na ja«, murmelte ich verlegen; ich weiß, dass ich feuerrot wurde, besonders weil alle diese Leute zuhörten. »Lernen macht mir einfach Spaß.«
Ravis Vater lachte. Er legte seinen Arm um meine Schulter und schaute den Direktor an. »Von solchen Schülern wünschen Sie sich viele, oder?«, rief er. Herr Lohmann buckelte und verbeugte sich und warf mir freundliche Blicke zu.
Auf einmal war alles anders, Ravi und sein Vater beschützten mich. Sie erlaubten es den anderen nicht, mich zu hänseln oder zu belästigen. In ihrer Gegenwart fürchtete ich mich nicht und das machte mich unglaublich glücklich.
Es war auch nicht schlimm, dass Ravi nachher keine Zeit mehr für mich hatte, weil so viele andere sich um ihn und seinen Vater scharten. Ich sah, dass Marcia es mit allen Mitteln darauf absah, die Aufmerksamkeit des berühmten Regisseurs zu erhaschen. Sie lief mit flatterndem Kleidchen über den Rasen, aber knickte auf ihren Stilettos um und versuchte rasch, die Situation zu retten, indem sie offenbar eine Szene aus einem Film nachspielte - jenem, in dem Julia Roberts auf dem Weg zur Hochzeit sich in ihrem Kleid verheddert und …
Jedenfalls, wenn sie gedacht hatte, Ravis Vater würde sie sofort nach Hollywood engagieren, hatte sie sich geirrt. Ich beobachtete die Szene ganz genau, und ich sah, wie er sich sofort amüsiert wegdrehte, als Marcia ihre Nummer abzog;
wahrscheinlich haben auf der ganzen Welt schon Hunderte von Frauen versucht, auf diese Weise Aufmerksamkeit bei einem Hollywood-Regisseur zu erringen. Es war ziemlich lächerlich, und eine ganze Weile konnte ich mich daran weiden, wie peinlich die Situation für Marcia gewesen war.
Später, beim Mozartkonzert, saß Ravi ganz vorn neben seinem Vater und ich ganz hinten, aber das war okay. Ich merkte, wie ein paar aus meiner Klasse mir Blicke zuwarfen, tuschelten und kicherten, das aber störte mich nicht mehr. Ich hatte dank Ravi
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