Bold, Emely
Fernseher aus, zog mein Nachthemd an und schlüpfte unter die Bettdecke. Sofort war ich eingeschlafen.
Ich hatte Angst. „Du musst dich deinem Schicksal stellen! Du kannst nicht davon laufen!“. Die Worte der alten Frau hallten endlos in meinem Kopf wieder. „Welches Schicksal?“, wollte ich fragen, doch die Alte war verschwunden. Ich konnte die scharfen Kiesel spüren, die sich in meine Haut bohrten. Ich kniete am Boden und hatte nicht die Kraft, mich zu erheben. Der Wind riss an mir, so als wolle er mich weitertreiben. Doch ich wusste nicht wohin. Vor Verzweiflung vergrub ich mein Gesicht in den Händen und hoffte auf Hilfe. Da strich mir jemand sanft über den Kopf.
Die alte Frau stand direkt vor mir. „Wer bist du?“ Ich hatte die Frage nicht laut gestellt, doch ich konnte die Antwort in ihren Gedanken lesen.
„Vanora? Was willst du von mir? Was ist hier los? Ich habe Angst!“
Immer noch ruhte ihre Hand auf meinem Kopf, so als wolle sie mich segnen und genau wie zuvor antwortete sie mir schweigend.
„Stelle dich deinem Schicksal. Entsinne dich derer, von denen du abstammst. Hab keine Angst. Das Amulett wird dich schützen.“
Sie legte mir das Amulett um den Hals. Es sah neu und glänzend aus. Das Metall war warm und sofort fühlte ich mich sicher. Der Wind legte sich und die dunklen Wolken waren verschwunden. Auch Vanora war weg. Nur ihre Stimme hallte noch immer in meinem Kopf: „Hüte dich vor dem Abgrund.“
Mit einem spitzen Schrei schreckte ich aus dem Schlaf. Mein Herz raste und ein Schweißfilm bedeckte meine Haut. Ich setzte mich im Bett auf und schaltete das Nachttischlämpchen an. Das gemütliche Zimmer so gewohnt friedlich und ordentlich vor mir zu sehen, schaffte es, den Albtraum in den Hintergrund meiner Gedanken zu verbannen. Dieses blöde Amulett. Vermutlich hatte ich mich viel zu sehr mit diesem Ding beschäftigt, so dass es sogar in meinen Träumen herumspukte. Mein Blick glitt hinüber zum Schreibtisch, wo es eigentlich neben dem Wappen liegen sollte, doch es war nicht da. Stattdessen hatte ich es um den Hals. Das war unmöglich! Ich konnte mich genau erinnern, wie ich es abgenommen hatte. Und als ich nun genauer hinsah, erkannte ich dass das Medaillon sich verändert hatte. Es war nicht mehr alt und angelaufen. Es glänzte wie neu. Die Gravur war nun deutlich zu erkennen. Einen kurzen Moment bekam ich Panik. Was war hier eigentlich los? Ein leises Flüstern drang an mein Ohr. Die Worte klangen fremd, irgendwie alt - doch ich verstand alles:
„Stelle dich deinem Schicksal. Hab keine Angst.“
Das Amulett ruhte warm und schützend auf meiner Haut und Vanoras Worte wurden mit einem Mal wahr. Ich hatte keine Angst mehr. Nein, ich wollte mich meinem Schicksal stellen. Doch was war mein Schicksal? Würde sie wiederkehren und es mir sagen? Wer konnte mir überhaupt etwas sagen? Da fiel mir das Gespräch mit Roy ein. Mit ihm hatte ich schon meinen ersten Traum besprochen. Womöglich würde er mir helfen können. Aufgewühlt von dem Traum lag ich noch lange wach, ehe mich schließlich ein unruhiger Schlaf übermannte.
Obwohl ich heute nicht wieder mit ihm in die Schule musste, stand ich früh auf und machte mich fertig. Ich wollte gleich beim Frühstück mit Roy sprechen. Als ich hinunter in die Küche kam, saß er schon vor seiner Zeitung und schlürfte seinen Kaffee. Die Küche war aufgeräumt und ein herrlicher Duft von Hefegebäck lag in der Luft. Alison war nicht zu sehen. Das war gut, denn im Gegensatz zu Roy war sie viel nüchterner, was Mythen und Sagen anging. Doch so konnte ich ohne Hemmungen gleich zum Thema kommen.
„Guten Morgen Roy.“
Ich setzte mich zu ihm und schenkte mir ebenfalls eine Tasse Kaffee ein.
„Aye, guten Morgen. Gut geschlafen?“
„Ehrlich gesagt, nein. Und genau darum möchte ich mit dir sprechen. Hast du kurz einen Moment?“
Roy legte die Zeitung weg, schob mir den Teller mit den Hefeküchlein zu und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Was ist los?“
Unsicher griff ich mir ein süßes Teilchen und brach ein kleines Stück ab.
„Ich hatte wieder so einen merkwürdigen Traum. Du weißt schon, wie neulich. Nur diesmal ist noch etwas anderes passiert.“
Ich kaute nachdenklich auf dem Gebäck herum. Noch ehe ich mehr sagte, war Roy schon ganz bei der Sache. Er wartete darauf, dass ich weiterredete, doch plötzlich kam ich mir verrückt vor. Wie konnte ich glauben, dass eine Frau aus meinen Träumen in mein Zimmer
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