Bold, Emely
gekommen war, und mir mein Amulett - nur in Neu - um den Hals gelegt hat?
Roy wartete immer noch. Er erkannte meine Unsicherheit und erklärte:
„Sam, schau mal. Ich komme von Fair Isle, aye. Das ist eine kleine Insel zwischen den Orkneys und den Shetlands. Dort gibt es Dinge, an die die Menschen hier niemals glauben könnten. Ich habe Dinge gesehen, die es eigentlich nicht gibt. Trotzdem habe ich sie gesehen, aye? Du musst keine Angst haben. Ich werde dir glauben, was immer du mir sagst.“
Sein eindringlicher Blick bestätigte seine Worte. Und ich erzählte ihm alles. Während ich sprach wanderte ein ums andere Stück Küchlein in meinen Mund und die Süße von Alisons Gebäck war die einzige Verbindung mit der Wirklichkeit. Wie ein süßer, sicherer Anker, in diesem ganzen Gewirr aus Träumen und Legenden.
Als ich geendet hatte, schüttelte Roy den Kopf.
„Erstaunlich. Wirklich erstaunlich.“
Er betrachtete das Amulett und seine kräftigen Finger strichen unerwartet zart über die Gravur.
„ Aonaibh ri Cheile. Die wörtliche Übersetzung lautet: Lasst uns vereinigen . Ich kenne dieses Motto. Es ist das Motto der …“
„… der Camerons, ich weiß.“, unterbrach ich ihn.
„Aye, richtig. Doch man würde es eigentlich eher mit Vereinigt euch übersetzten.“
Roy wendete den Anhänger und las die zweite Inschrift.
„Diese hier ist kein Motto. Hier steht: Cuimhnich air na daoine o’n d’ thanig thu . Das ist etwas Persönliches. Es bedeutet: Entsinne dich derer, …“
„… von denen du abstammst.“, vollendete ich seinen Satz.
Gänsehaut überzog meinen Körper und ich musste mehrfach schlucken, um den Kloß in meinem Hals zu bekämpfen.
Roy nickte.
„Ja, genau. Woher weißt du das?“
„Aus meinem Traum. Vanora, die Frau aus meinem Traum, hat das zu mir gesagt.“
Roy lachte laut.
„Ach so. Ja, da hätte ich an deiner Stelle auch ein mulmiges Gefühl. Aber ehrlich, es ist nur eine Kette. Zudem bedeutet Vanora so viel wie weiße Welle und das wiederum sagt mir, dass sie eine der alten Frauen des Inselvolkes ist. Es geht sicherlich keine Gefahr von ihr aus.“
„Aber Roy, sag mir doch bitte einmal, wieso ich von Inselfrauen träume, von deren Existenz ich ja noch nicht einmal etwas wusste.“
Mit dem Finger sammelte ich die letzten Krümel von meinem Teller und steckte sie mir in den Mund.
„Aye, ganz einfach. Sie will sich dir zeigen. Sie will, dass du verstehst, was sie dir sagen will.“
Wieder hatte Roy so einen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Ich wusste schon nicht mehr, wen ich für verrückter hielt, ihn oder mich. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, fragte ich dennoch weiter.
„Okay. Gehen wir davon aus, dass alles was du mir gesagt hast, wahr ist. Woher weißt du das alles?“
„Wie gesagt, ich komme von Fair Isle. Seit Tausenden von Jahren lebten die Menschen dort in Frieden und ohne den Einfluss der Zivilisation. Man lebte vom Fischfang und vom Ackerbau. Die weisen Frauen sorgten für Ordnung und sprachen Recht. Sie waren sozusagen die Stammesführerinnen. Diese Aufgaben übergaben sie irgendwann an ihre Töchter oder Enkelinnen. Und weil man vom Meer und seinen Launen so abhängig war, trugen alle weisen Frauen Namen zu Ehren des Meeres. Wie eben weiße Welle oder friedliche Strömung. Oder aber auch tosende See.“
Diese Geschichte war wirklich spannend. Indiana Jones und ich waren begeistert. Da war es wieder. Das Abenteuer!
„Diese Frauen konnten sich mit den Naturgewalten verbinden, sagt man. Ihre außergewöhnlichen Kräfte und Fähigkeiten hatten sich herumgesprochen, aye? Irgendwann begannen die mächtigen Clansführer Boote auszuschicken, mit dem Auftrag ihnen eine Fair-Hexe, so wurden die Frauen bei ihnen genannt, zu stehlen. Sie erhofften sich Macht und Reichtum von ihnen.“
„Konnten die Frauen denn entkommen?“
Ich stellte es mir schrecklich vor, von meiner Familie und Heimat entführt zu werden, um einem ungewissen Schicksal ins Auge zu blicken.
„Die weisen Frauen sahen die kriegerischen Schiffe kommen und wussten, was es zu bedeuten hatte. Sie gaben ihren Männern den Befehl sich von jeweils einer ihrer Töchter zu verabschieden. Die Männer wollten kämpfen und ihre Insel verteidigen, doch die Älteste beharrte auf ihrer Forderung. So kam es, dass acht Mädchen in ihren weißen Gewändern am Strand darauf warteten, von räuberischen Männern entführt zu werden. Die Boote legten an und schwerbewaffnete Krieger strömten zu Dutzenden
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