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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Technoklängen, dem metallenen Hämmern der Baubrigade,
     dem genervten Muhen der Kühe in den Ställen, dem Jaulen der Hunde und dem stündlichen Gebimmel von den Kirchtürmen der Umgebung.
     Ein Oratorium, das Großes ankündigte.
    Zwei Mann kletterten auf das Zeltdach der Bühne und entrollten Transparente. Das neue, international besetzte Musical von
     Andrew Lloyd Webber. ›Anna Leschinski‹.
    Nun war Agnetas Antlitz groß auf den Werbeflächen zu sehen. Sie erinnerte mich an die junge Marlene Dietrich. Die gleiche
     unterkühlte Schönheit, die gleiche unschuldige Verderbtheit, die gleiche göttliche Herablassung. Schauren hatte sein Musicaltheater.
     Und die Welt hatte einen neuen Musicalstar: Agneta Hagenau |214| war ›Anna Leschinski‹. Mich fröstelte innerlich, als ich das riesige Plakat sah.
    Als um elf Uhr elektronisch verstärkte Gitarrenklänge zu hören waren, verließen wir das Revier, um nach dem Rechten zu schauen.
     Der Marktplatz war voller Schaulustiger. Wir teilten uns und drehten einige Runden.
    Was mir gleich auffiel: Schwierz und Bürgermeister Brück waren zwar da und jeder für sich Mittelpunkt einer Menschentraube.
     Sie redeten mit jedem, aber sie redeten nicht miteinander.
    Cyril Schwierz gab unentwegt Anweisungen an die Technik. Dann verschwand er mit Maskenbildnerinnen und jungen Helferinnen,
     die Mineralwasser und kleine Snacks aus einer Cateringbox verteilten, in einem Wohnwagen, in dem sich die Schauspieler und
     Sänger aufhielten. Schließlich erschien er wieder vor der Bühne, machte seine Runde an den Champagnerständen vorbei und begrüßte
     die Medienvertreter aus Metz und Saarbrücken, die nach und nach eintrafen. Die Fernsehleute bauten ihre Kameras auf. Allein
     drei TV-Stationen hatten ihre Teams geschickt. Doch nirgendwo hielt er sich lange auf. Entweder wurde er von einem seiner
     tüteligen Assistenten weggerufen oder sein Handy läutete.
    Pierre Brück hingegen schien Wert darauf zu legen, etwas Abstand zum Zentrum des Geschehens zu wahren. Er bewegte sich im
     Kreis Schaurener Bürger, die zahlreich durch die Aufbauarbeiten angelockt worden waren und sich nun noch etwas scheu in der
     Nähe der Bühne und der lärmenden Medienleute versammelten.
    Ich sah die plappernden Friseurinnen, die noch in Kitteln aus dem Salon von Lydia Alt gerannt kamen. Dr. Chariot hatte seine
     Sprechstunde verlassen und diskutierte mit den Patienten, die ihm aus dem Wartezimmer gefolgt waren. Sogar der junge Lehrer,
     der in der Wochenendausgabe der Regionalzeitung Gedichte veröffentlichte, führte eine Horde Schüler auf den Marktplatz.
    Brück, der sonst jede Gelegenheit nutzte, ein paar Sätze in jedes |215| offene Mikrofon zu sagen, machte einen Bogen um den Medientross – auch als die ersten Reporter des ›Républicain‹ und zweier
     Kabelfernsehsender aus Straßburg begannen, Bilder und Töne der Umstehenden zu sammeln, um abends ihre Berichte von der Präsentation
     des Musicals in Schauren mit Lokalkolorit schmücken zu können. Mir fiel auf, dass er keinem Gespräch mit den Bürgern aus dem
     Weg ging, ja, dass er sich sogar in die Kreise derer drängte, die auf der Bürgerversammlung in der Mehrzweckhalle Bedenken
     gegenüber dem Wackesberg-Projekt gezeigt hatten.
    Pierre Brück wirkte gut gelaunt und umgänglich. Mir schien es sogar so, als legte er diesmal großen Wert darauf, zu demonstrieren,
     dass er deren Skepsis nicht nur ernst nahm – ja, dass er sie sogar teilte. Einmal hörte ich ihn zu einem alten Schaurener
     sagen: »Eines ist klar: Wohlstand hin oder her. Wir werden es nicht zulassen, dass Fremde respektlos mit der Geschichte unseres
     Dorfes umgehen. Da könnt ihr euch auf mich verlassen. Auch wenn es hier um eine Investition in Millionenhöhe geht.«
    Cyril Schwierz übersah den starken Mann von Schauren. Entweder war der Impresario voll und ganz mit den Vorbereitungen seiner
     Medienpräsentation beschäftigt – oder aber das gute Einvernehmen zwischen den beiden hatte sich erheblich getrübt.
    In der Mitte des Marktplatzes traf ich wieder auf meine Kollegen. Louis Straßer ging der Auftrieb über die Hutschnur, das
     spürte ich sofort. Er war gegen alles, was seine Ruhe störte. Aber er nahm sich zusammen. Schließlich wusste er, dass der
     Bürgermeister uns im Auge behielt.
    »Warum sind die alle bloß so aufgeregt?«, schimpfte er halblaut. »Was ist das schon? Ein Schmierentheater um ein polnisches
     Flittchen. Firlefanz für Reiche. Von uns

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