Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
große Augen. Alfred stellte seine Tasse ab und erhob sich, ohne die geringste Überraschung zu zeigen.
»Guten Morgen, Lady Violet, schon so früh auf? Wir haben mit Seiner Lordschaft erst gegen neun gerechnet.«
»Da mögen Sie recht haben, aber ich bin schon auf den Beinen und wäre Ihnen zutiefst dankbar für Tee und etwas zu essen.«
»Aber sicher doch, Mylady. Mrs Myrtlewait, wenn Sie so freundlich wären? Ich bringe Ihnen das Frühstück nach oben, Mylady.«
Violet lächelte. »Danke, Alfred.«
Zurück in ihrem Zimmer machte sich Violet auf die Suche nach den Artikeln, die sie aus den Fachzeitschriften ausgeschnitten hatte, die Alfred von Zeit zu Zeit für sie kaufte. Da sie dies ebenso wie ihre Karriere als Erfinderin vor ihren Eltern geheim halten musste, war sie dazu übergegangen, Schachteln mit »gefährlichem Material« unter den Bodendielen zu verstecken – ebenso wie ihre Laborkleidung. Nur unter welcher Diele war der Karton mit den Zeitungsartikeln gelandet?
Bevor sie fündig werden konnte, klopfte es.
»Herein!«, rief Violet, während sie sich rasch erhob, denn die Dienstmädchen wussten nichts von ihren Geheimverstecken.
Es war allerdings Alfred persönlich, der das Tablett mit ihrem Frühstück hereintrug.
Als Violet verwundert die Augenbrauen hochzog, erklärte er: »Die Mädchen haben gerade zu tun. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass Sie noch etwas anderes auf dem Herzen haben, Mylady.«
Violet lächelte breit. »Ihr Eindruck täuscht Sie nicht, Alfred. Sie müssen mir einen Gefallen tun.«
»Gern, Mylady. Worum geht es?«
»Sie kennen doch den Buchladen nahe St. Paul, das alte Überbleibsel von den früheren Buchmärkten.«
»Natürlich kenne ich den.« Ein ahnungsvoller Schatten zog über sein Gesicht. »Sie wollen doch keinen Ausflug dorthin machen?«
»Nein, diesmal nicht, vorerst nicht. Ich brauche Bücher.«
»Bücher?«
»Über Forensik.«
Damit schaffte sie es, einen verwunderten Ausdruck auf Alfreds Gesicht zu zaubern. »Forensik?«
»Dr. Bell ist der Meinung, dass man Verbrechen besser aufklären kann, wenn man die Wissenschaft einsetzt. Lady Sharpe ist eine Expertin auf diesem Gebiet.«
»Und Sie wollen ihr Konkurrenz machen?« Alfred wirkte beinahe ein bisschen belustigt.
»Nein, ich will den Tod von Lord Stanton aufklären.«
»Mylady …«
»Ich weiß, was Sie denken«, sagte Violet schnell. »Doch mein Entschluss steht fest. Eigentlich ist es nicht schwer, ein Verbrechen aufzuklären. Man muss nur die Ratschläge von Dr. Bell beherzigen.«
»Aber wenn Lady Sharpe Expertin auf dem Gebiet ist, sollte sich dann nicht besser sie um den Fall kümmern?«
»Ich weiß nicht, welche Beweggründe Lady Sharpe für ihr Auftauchen hier hatte, doch ihr ist es sicher egal, was aus unserer Familie wird. Gestern habe ich gehört, wie sie die Mutmaßung äußerte, dass es zu weiteren Anschlägen mit noch mehr Toten kommen könnte. Das bedeutet, dass vielleicht auch meine Eltern und ich in Gefahr sind. Außerdem, finden Sie nicht, dass ein Außenstehender mehr herausfinden kann als jemand, vor dem sich selbst die Ratten verkriechen, weil sie Angst haben, im Geheimkerker des Towers zu landen?«
Die Erwähnung des Towers ließ Alfred erschaudern. Offiziell gab es andere Gefängnisse in London, doch der Geheimdienst griff angeblich immer noch auf die alten Maschinerien zurück, die einst dem berüchtigten Francis Walsingham schon gute Dienste geleistet hatten. Die Vorstellung, zerhackt als Fischfutter in der Themse zu landen, jagte selbst Leuten, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen, großen Schrecken ein.
»Aber es könnte gefährlich werden. Auch wenn Sie nicht wie ein offizieller Ermittler aussehen, könnte der Täter Lunte riechen.«
»Vielleicht, aber dafür habe ich ja Sie, Alfred.« Violet lächelte breit in dem Wissen, dass nichts, was Alfred sagte, sie davon abbringen konnte, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. »Besorgen Sie mir nun die Bücher?«
Alfred nickte seufzend. »Natürlich, Mylady, stets zu Ihren Diensten.«
»Gut, ich schreibe Ihnen schnell eine Liste.« Violet wirbelte herum, setzte sich an den Schreibtisch und griff zu Feder und Papier.
Weder ihrem Vater noch ihrer Mutter fiel auf, dass Violet den ganzen Vormittag in ihrem Zimmer verbrachte. Lord Reginald musste sich peinlichen Fragen im Parlamentsgebäude stellen, ihre Mutter lag mit Migräne im abgedunkelten Zimmer. Nach seiner Rückkehr vom Buchladen sorgte Alfred dafür, dass die
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