Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
Sekunde aus den Augen gelassen.
Diesmal kümmerte sie sich allerdings wenig um die edlen Ball- und Nachmittagskleider. Zielstrebig ging sie zu der langen Kleiderstange, auf der ihre Kleider aufgereiht waren, unter anderem mittlerweile auch ihr Ballkleid von vergangener Nacht. Nach einigem Suchen fand sie das pelzverbrämte Cape, das hervorragend zu ihrem Kleid und ihren Augen passte. Nicht dass sie damit irgendwen auf sich aufmerksam machen wollte. Nein, wenn eine Lady Adair das Haus verließ, dann standesgemäß.
Beim Überwerfen des Kleidungsstückes stellte sie sich dann doch recht genau vor, wie der junge Mann mit der Augenklappe ihren Aufzug finden würde, wenn sie ihm zufällig begegnete. Das kurze Aufblitzen des Verdachts, dass er der Täter sein könnte, ignorierte sie. Warum sollte es immer der Mann mit der Augenklappe sein? Weil er verwegen aussah? Weil Schurken immer ein Faible für die Farbe Schwarz zu haben schienen?
Sie beschloss, sich von solchem Quatsch nicht in die Irre führen zu lassen. Allerdings würde sie versuchen herauszufinden, wer er war. Alfred musste doch die Gästeliste kennen … Vielleicht hatte Lady Sharpe sie wieder zurückgegeben.
Als sie die Treppe zum Foyer hinuntereilte, wurde sie von Alfred bereits erwartet. Er hatte sich ebenfalls einen Mantel übergeworfen und öffnete wortlos die Tür, als Violet bei ihm ankam.
»Haben Sie sich auch ordentlich abgemeldet? Es könnte ein Weilchen dauern, bis wir wieder zurück sind.«
»Ich habe Lady Emmeline mitgeteilt, dass ich wegen einer dringenden Besorgung unterwegs bin. Und Mrs Myrtlewait hat es freundlicherweise übernommen, den Dienstmädchen Beine zu machen.«
Sie verließen das Haus und gingen zur nächsten Straßenecke. Die Passanten, die ihnen entgegenkamen, beäugten sie neugierig. Wahrscheinlich haben sie heute schon Zeitung gelesen, dachte Violet ein wenig niedergeschlagen und hatte den Wunsch, den Reporter, der diesen Artikel verzapft hatte, ordentlich zu schütteln.
»Mylady wollen noch immer dem Tod von Lord Stanton nachgehen?«, fragte Alfred, als sie sich ein Stück vom Haus entfernt hatten. »Ich hatte gehofft, dass diese Bücher Sie davon abbringen würden.«
»Sie haben hineingeschaut, nicht wahr?«, fragte Violet verschmitzt.
»Die Fahrt von der Fleet Street bis nach Belgravia dauert eine Weile«, entgegnete Alfred. »Ich muss schon sagen, die Abbildungen sind wahrlich nichts für eine junge Lady. Ihre Mutter wäre entsetzt.«
»Ich bin schließlich keine gewöhnliche junge Lady«, gab Violet zurück. »Außerdem muss meine Mutter ja nichts davon erfahren. Verstehen Sie doch, ich kann nicht einfach in meinem Zimmer sitzen und darauf warten, dass sich die Sache von allein erledigt. Wenn man bedenkt, wie unsere Polizei arbeitet … Von Dr. Bell haben die sicher noch nichts gehört.«
»Wenn ich Sie noch einmal an Lady Sharpe erinnern darf …«
»Die sieht nur mit allen ihren Augen zu, dass der Königin nichts geschieht. Ehe sie etwas herausfindet, hat das Haus Adair dermaßen an Bedeutung und Ansehen verloren, dass meinen Eltern nichts anderes übrig bleibt, als mich reich zu verheiraten.«
»Das wollten sie doch ohnehin schon tun, oder irre ich mich, Mylady? Lord Stantons Sohn hat sicher nicht zufällig bei Ihnen gestanden.«
Violet verzog das Gesicht. Alfred entging aber auch nichts. »Ich glaube nicht, dass mein Vater an seinen Heiratsplänen festhalten wird. Die Stantons werden ihren kostbaren Sohn ganz sicher nicht einem Mädchen geben, in dessen Haus sein Vater umgekommen ist.«
»Aber wenn Ihre Familie doch keine Schuld hat …«
»Trotzdem. Und jetzt Ende der Diskussion, wir haben Wichtigeres zu tun.«
»Wie Sie meinen, Mylady.« Alfred klang nicht sonderlich überzeugt. Eine Sorgenfalte grub sich zwischen seine Augenbrauen, die durch den Schatten der Krempe seines Bowlers noch verstärkt wurde. »Verraten Sie mir jetzt, wohin wir gehen?«
»Nein, noch nicht«, entgegnete Violet, denn sie wollte sich nicht die ganze Zeit über einen Vortrag darüber anhören, dass eine Lady nichts in der London Morgue zu suchen hatte. »Erzählen Sie mir lieber etwas über den jungen Mann mit der Augenklappe, der auf dem Ball zugegen war.«
Alfred zog fragend die Augenbrauen hoch. »Augenklappe?«
»Ja, und er trug eine schwarze Uniform. Und hatte eine weiße Strähne im Haar.«
»Nun, dann muss ich ihn in der Hektik übersehen haben. Mir ist kein solcher Gentleman aufgefallen.«
Wie konnte er ihm nicht
Weitere Kostenlose Bücher