Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
benehmen.«
»Also poltrig war dieser Mann weiß Gott nicht. Sie haben ihn nicht bemerkt, haben Sie das schon vergessen?«
Alfred unterdrückte sichtlich seine Gereiztheit, während er sich immer wieder umsah, als vermute er einen Verfolger. »Das wird mir kein zweites Mal passieren, Mylady.«
An der nächsten Straßenecke stiegen sie in eine Motordroschke, die Alfred beherzt angehalten hatte. Violet nannte eine Adresse in Mayfair, dann setzte sich das Gefährt schnaufend und stampfend in Bewegung.
»Sie wollen sicher zum Zirkus, nicht wahr?«, bellte die Stimme des Fahrers durch das Knattern.
»Ganz richtig, Sir!«
»Zirkus?«, fragte Alfred verwundert.
6. Kapitel
»Vielleicht hätten wir doch lieber eine herkömmliche Kutsche nehmen sollen«, warf Alfred ein, als der Fahrer in rasantem Tempo an einer Pferdekutsche vorbeisauste und das Tier mit dem Abgasausstoß an den beiden oberen Dampfabzügen ängstigte. Das Wiehern des Pferdes und das Fluchen des Kutschers drangen bloß für einen Lidschlag zu ihnen, dann hörten sie nur noch das Knattern des Motors.
»Mit den Motordroschken sind wir eindeutig schneller«, entgegnete Violet. »Zeit ist kostbar, Alfred.«
Und Zeit verlor der Fahrer nun wirklich nicht. Unter häufigem Einsatz seiner quäkenden Dampfhupe rasten sie durch die Straßen Belgravias, ließen den noblen Stadtteil schon bald hinter sich und brausten dann in Richtung Mayfair. Als das große, blau-goldene Zirkuszelt vor ihnen auftauchte, gab Violet dem Fahrer das Zeichen, dass sie am Ziel waren.
Noch wurde Mr. Blakley’s Mechanic Circus von den Passanten bestenfalls gleichgültig betrachtet, denn sein wahrer Zauber befand sich hinter den Zeltplanen. Doch sobald es Abend wurde, die Lichter angingen und die Dampforgel weithin hörbar flotte Melodien schmetterte, würde niemand mehr daran vorbeigehen können.
Auch Violet wäre lieber der Einladung zur Premierenvorstellung gefolgt, anstatt tagsüber hier hereinzuschneien. Aber ungewöhnliche Umstände erforderten Wendigkeit. Wer, wenn nicht sie, hatte Übung darin!
»Warum in aller Welt der Zirkus?«, stellte Alfred nun die Frage, die ihm schon eine Weile auf der Seele brannte.
»Mr Blakleys Mitarbeiter haben besondere Fähigkeiten, die uns nützen könnten. Ganz zu schweigen von seinen Beziehungen.«
»Aber was hat das mit Lord Stanton zu tun?«
»Das werden Sie schon sehen, Alfred.«
Nachdem sie sich durch die Absperrung geschoben hatten, marschierte sie schnurstracks auf das Zelt zu. Der Lärm hinter den leuchtend blauen Zeltplanen verriet, dass die Artisten gerade dabei waren, ihre Nummern einzustudieren. Mr Blakley bestand darauf, dass sie bei jeder Rückkehr von einer Tournee ein komplett neues Programm zeigten – und wenn möglich auch ein paar neue Sensationen, nach denen sie überall auf der Welt Ausschau hielten.
Nun, Violet konnte sich kaum etwas Sensationelleres vorstellen als die Oktopuslady Siberia, die halb Mensch und halb Krake war, ein Wunderwerk der modernen Chirurgie. Aber vielleicht schaffte es Mr Blakley schon wieder, sie zu überraschen.
»He, ihr da!«, schnarrte eine blecherne Stimme hinter ihnen. Violet wandte sich lächelnd um und blickte in das Gesicht von Hiracus, dem Halbmaschinenmenschen.
Im letzten Krieg war er von einer Granate beinahe zerfetzt worden; nur der Experimentierfreudigkeit des Feldschers und dem Vorhandensein von Ersatzteilen hatte er es zu verdanken, dass er noch unter den Lebenden weilte. Natürlich hatten auch seine Fähigkeiten im Geschützturm etwas damit zu tun gehabt. Ein Heerführer müsste schon ziemlich verrückt sein, überließe er seinen Chefschützen einfach dem Tod.
Trotz seiner unglaublichen Rettung war Hiracus nach der Operation aber nicht mehr derselbe gewesen. Auf einmal hatte er sich geweigert, auf feindliche Soldaten zu schießen, weil er die Schmerzen seiner Verletzungen immer gerade dann zu spüren meinte, wenn er auf einen Menschen zielte. Nachdem auch neurologische Behandlungen nichts gebracht hatten, entließ man ihn mitsamt seinen Ersatzteilen aus dem Dienst.
Bei Mr Blakley hatte er eine neue Anstellung als Kunstschütze und Kraftprotz gefunden.
»Ich bin’s, Hiracus, Violet!« Mit ausgebreiteten Armen ging sie auf ihn zu. »Sag bloß, du erkennst mich nicht mehr?«
Hinter Hiracus’ künstlicher Stirn quietschte es vernehmlich, als er die metallenen Augenlider weit aufriss. Dann lächelte er, dass seine Goldzähne nur so blitzten.
»Lady Violet! Bitte
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