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Bomann, Corinna - Clockwork Spiders

Bomann, Corinna - Clockwork Spiders

Titel: Bomann, Corinna - Clockwork Spiders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Bomann
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heraus schlug oder gewagte Schwimmmanöver vollführte, hielten die Zuschauer den Atem an. Bewusst hatte Mr Blakley ihre Vorführung im letzten Drittel der Vorführung platziert, denn bis dahin blieben sowieso alle Zuschauer sitzen – und danach konnten sie sich nicht mehr von den Bänken erheben, so gefesselt waren sie.
    Langsam näherte sich Violet dem überdimensionalen Wassertank, der aus dicken Glasscheiben bestand, die in anmutig geschwungene Metallrahmen gefasst waren. Das Glas hatte eine Lupenwirkung, sodass Siberia größer wirkte, als sie eigentlich war. Sehr vielen Londoner Männern hatte der Effekt schon zu einer engen Umarmung ihrer Liebsten verholfen, weil diese sich angesichts der riesenhaft wirkenden Siberia erschrocken hatten.
    Blakley hatte für den Tank eine eigene Dampfmaschine angeschafft, denn selbst der Halbmaschinenmann Hiracus konnte dieses Ungetüm nicht einen Inch weit bewegen. Auch jetzt schnaufte die Maschine laut hinter dem Zelt; erst während der Vorstellung würde die Musik die Maschinengeräusche überdecken.
    Vor einer der Glasscheiben machte Violet halt. Von Siberia waren nur die Enden ihrer Tentakel zu erkennen, denn sie befand sich gerade am anderen Ende des Tanks. Dort drehte sie eine Unterwasserpirouette, wendete dann anmutig und kam direkt auf sie zugeschossen.
    Violet hielt unwillkürlich die Luft an. Auch wenn sie wusste, dass nichts den Tank durchbrechen konnte – nicht einmal die Kugeln aus einer Dampfpistole –, fürchtete sie einen Moment lang, dass Siberia gegen das Glas prallen würde. Doch die Tentakel bremsten blitzschnell ab, wirbelten kurz auf, wie ein Seidenschleier unter einem Windhauch, dann stoppte der Körper plötzlich, sodass man das schillernde, eng anliegende Dress erkennen konnte. Wenn das männliche Publikum bis vorhin noch nicht gefesselt war, änderte sich das in diesem Augenblick sicher, denn Siberia hatte Kurven, um die Ladys, die sich für eine halbwegs passable Linie tagtäglich in unbequeme Korsetts zwängen mussten, sie beneideten.
    In einer eleganten Wellenbewegung schob sich der Körper zurück, sodass nun Siberias Gesicht sichtbar wurde. Als sie Violet hinter dem Glas erkannte, lächelte Siberia breit, doch auch das Auftauchen einer Freundin brach nicht ihre Konzentration. Noch zweimal durchquerte sie mit gewagten Unterwassersaltos den Tank, dann tauchte sie kurz vor Violet auf.
    Die Wassertropfen, die auf sie herunterplatschten, ignorierend, klatschte Violet Beifall. »Bravo! Das war einfach atemberaubend!«
    »Vielen Dank!« Siberia neigte geschmeichelt den Kopf. »Aber Sie haben ja nicht die ganze Nummer gesehen!«
    »Das stimmt, aber was ich gesehen habe, hat mir den Atem stocken lassen. Sie sollten Mr Blakley sagen, dass er am Eingang Riechsalz für die Damen verteilen soll, die könnten vor lauter Spannung glatt in Ohnmacht fallen!«
    Siberia lachte auf. »Wenn Sie das sagen, Violet! Ich bin gleich bei Ihnen!«
    Damit verschwand sie wieder im Wasser. Violet lächelte, Siberia sprach ihren Namen nicht wie in England üblich Wei-o-let aus, sondern russisch Wie-ol-jet aus.
    Kein Wunder, denn Siberia stammte ursprünglich aus Russland, wo sie ohne Unterleib geboren worden war. Entsetzt von ihrer Missbildung hatten ihre Eltern sie in ein Heim gegeben, wo sie, der Willkür der Heimleiterin ausgesetzt, lebte, bis sie mit sechzehn an eine englische Freakshow verkauft wurde. Mit dieser Show, in der sie zusammen mit Elefanten- und Wolfsmenschen zur Schau gestellt wurde, reiste sie durch Europa und ertrug die Misshandlungen durch ihren Besitzer. Bis eines Tages ein junger Mann mit einem mechanischen Arm die Show besuchte …
    Mr Blakley verliebte sich sofort in sie. Bei Nacht und Nebel entführte er Siberia und brachte sie zurück nach Russland zu einem alten Freund.
    Der russische Chimärenzüchter Oleg Plovnikov wurde wegen seiner Experimente zwar weltweit gesucht, dennoch erklärte er sich bereit, den Eingriff vorzunehmen. Mit einigen mechanischen Hilfen gelang es ihm, den Oktopus mit Siberias Körper zu verbinden. Fortan konnte Siberia nicht nur besser schwimmen als ein gewöhnlicher Mensch, nach etwas Training gelang es ihr auch, an Land zu laufen. Obwohl sie nicht mechanisch war, war sie dennoch die Attraktion in Mr Blakleys Zirkus. Und seit Jahren seine Geliebte.
    Als sie ein Rascheln hinter sich hörte, wandte sich Violet um. Siberia hatte einen weiten, beerenfarbenen Taftmantel übergeworfen, der ihre Tentakel vollkommen bedeckte.

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