Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
Lady Violets entgeisterter Blick amüsiert mich jedes Mal.« Er lachte kurz auf, wurde dann aber sogleich wieder ernst. »Ich weiß, dass Sie nicht ohne Weiteres beim Coroner vorgelassen werden. Selbst dann nicht, wenn Lady Sharpe ihre Hände nicht im Spiel hat. Da Sie sich an mich wenden, hoffen Sie auf meine Hilfe, nicht wahr?«
»Gäbe es eine bessere Adresse für mein Vorhaben?« Violet lächelte ihn breit an. Sie wusste, dass man bei Mr Blakley besonders weit kam, wenn man ihm das Gefühl gab, der Beste in irgendeiner Sache zu sein. Was das Herstellen von Kontakten anging, stimmte das sogar. Niemand spionierte Leute besser aus als seine Leute und er. Eine Gabe, von der er besonders dann Gebrauch machte, wenn sich eine andere Zirkustruppe in der Stadt breitzumachen gedachte.
»Nein, jedenfalls nicht in London«, entgegnete der Zirkusdirektor geschmeichelt. »Ich glaube, jemand aus der Morgue schuldet mir noch einen kleinen Gefallen. Ich werde Joe zu ihm schicken und ihn daran erinnern.«
Zu gern hätte Violet gewusst, was das für ein Gefallen war, doch neugierige Nachfragen schätzte der Zirkusdirektor gar nicht. Und weil sie es sich nicht mit ihm verscherzen wollte – oh, Blakley konnte auch fuchsteufelswild sein, wenn ihm irgendwer querkam –, fragte sie nur: »Und wie erfahre ich, dass Ihr Bekannter einverstanden ist?«
Lächelnd legte Blakley ihr die mechanische Hand auf die Schulter. Die künstlichen Gelenke drückten hart durch den feinen Stoff ihres Mantels und ihres Kleides. »Indem Sie noch ein Weilchen hierbleiben und mit Siberia eine Tasse Tee trinken. Wir haben zwar noch lange nicht Tea Time, aber wir als Artisten dürfen uns kleine Verrücktheiten erlauben, nicht wahr?«
Damit zwinkerte er ihr zu und wandte sich dann um. Mit einem schrillen Pfiff holte er Joe heran, den man zunächst mit einem der Zeitungsjungen Londons verwechseln konnte. Aber der braune Tweedanzug war nur Fassade. Der Mann, der sich darunter verbarg, war vielleicht kleinwüchsig, doch durch zahlreiche Modifikationen hatte er nicht nur das Gehör einer Katze bekommen, sondern auch gewisse Nebensinne, die ihn Gefahr erkennen und Menschen richtig einschätzen ließen. Außerdem nutzte ihm sein kleiner Körper, um rasch durch Menschenmengen und um schmale Ecken zu kommen. Joe the Cat war sein Spitzname, den er mit einigem Stolz trug und dessen er sich immer wieder als würdig erwies.
Als Blakley mit ihm redete, warf er einen kurzen Blick zu Violet, die ihn mit einem freundlichen Nicken grüßte. Seine Augen verengten sich kurz, was aber keineswegs ein Ausdruck von Misstrauen war. Er versuchte nur, die Situation einzuschätzen – und das, was ihm sein Boss mitteilte. Darin und auch in seiner Mimik ähnelte er ebenfalls einer Katze.
»Er wird es schon hinbekommen«, beruhigte Siberia sie, dann hakte sie sich bei Violet unter. »Kommen Sie, meine Liebe, ich habe von unserer Tournee Schweizer Schokolade und belgische Waffeln mitgebracht, die sind herrlich zu einer Tasse Tee aus Ceylon.«
Wenige Minuten später saßen sie in dem großen Wagen, den Siberia zusammen mit Mr Blakley bewohnte. Die Einrichtung war ein beinahe unüberschaubares Sammelsurium von technischen Geräten und Nippes, die die Oktopuslady so liebte. An keinem Souvenirladen kam sie vorbei, ohne Porzellanfiguren, künstliche Vögel und Spieldosen zu kaufen, auf denen sich zierliche Ballerinen auf nur einem Bein drehten.
Inzwischen hatte Siberia hinter dem Paravent ihren Taftmantel gegen einen breiten roten Samtrock und eine weiße Rüschenbluse eingetauscht.
»Die englische Mode ist ein wenig unvorteilhaft für mich«, erklärte sie, nachdem sich Violet lobend über den schönen Stoff und die gute Verarbeitung geäußert hatte. »Unter den engen Röcken sieht man gleich, dass ich acht Beine habe und nicht zwei. Glücklicherweise sind in New York diese Röcke der letzte Schrei – und dass ich für eine Amerikanerin gehalten werde, ist nicht unbedingt von Nachteil.«
»Ich glaube kaum, dass jemand Sie für eine Amerikanerin halten würde«, entgegnete Violet verschmitzt. »Eher für eine russische Aristokratin. Was in meinen Augen auch wesentlich interessanter ist. Die Amerikaner können nur immer mit ihren technischen Errungenschaften angeben.«
Siberia lachte auf, dann glitt sie elegant zu dem kleinen Herd. »Also gut, bin ich eben eine russische Aristokratin. Als solche müsste ich aber eigentlich einen Samowar besitzen.«
»Sagen Sie bloß, das tun Sie
Weitere Kostenlose Bücher