Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
auf. »Zu meinen kriminellen Zeiten habe ich es oft erlebt, dass Dinge in menschlichen Körpern verborgen wurden. Manchmal wurden sie geschluckt, manchmal durch den …«
»Danke, Alfred, ich kann es mir vorstellen«, warf Violet peinlich berührt ein.
»Auf jeden Fall hat Lord Broockston diese Kapsel nicht in den Mund genommen, weil er Eisenmangel hatte oder es liebte, an patronenähnlichen Gegenständen zu lutschen.«
Auf einmal überkam eine furchtbare Erkenntnis Violet. Bilder setzten sich zusammen wie ein Puzzle. »Alfred, glauben Sie, man könnte eine Spinne in der Kapsel verbergen?«
Der Butler zog fragend die Augenbrauen hoch. »Eine Spinne?«
»Ja? Natürlich müsste man vorsichtig sein. Vielleicht nimmt man auch eine sehr junge, kleine Spinne.«
»Das halte ich eher für unmöglich. Auch Spinnen brauchen Luft.«
»Leichenspinnen können in luftdichten Räumen existieren.«
»Allerdings nur, wenn sie Blut bekommen. Außerdem können solche Kapseln wohl nur verschlossen werden, indem man sie lötet oder zusammenpresst. Das würde keine Spinne vertragen.«
»Aber in Lord Stanton wurden auch Metallteile gefunden.«
»Teile, aber keine Kapsel.«
»Vielleicht haben Sie recht«, gab Violet nun zu. »Vielleicht war das Metall die Ursache für Stantons Tod und nicht die Spinne. Vielleicht hat sich das seltsame Tierchen nur zufällig in der Morgue herumgetrieben. Ich werde mich an die Spinnenfalle setzen.«
»Das halte ich für eine hervorragende Idee«, entgegnete Alfred, während er hinter einem Regal abtauchte.
Nicht mal eine Stunde später verließen sie das Labor wieder. Violet hatte Alfreds Rat beherzigt und an der Spinnenfalle gearbeitet, die sie vor allem deswegen erfunden hatte, weil sie die achtbeinigen Krabbler zwar nicht mochte, sie aber nicht ständig totschlagen und damit Flecken an der Wand hinterlassen wollte. Viel hatte sie nicht mehr daran tun müssen. Zum Schluss hatte sie sie probehalber scharfgestellt für den Fall, dass sich eine der im Gemäuer vorhandenen Spinnen zeigte und Lust hatte, sich ein wenig einsperren zu lassen.
Kaum hatten sie dem Fabrikgebäude den Rücken zugekehrt, sagte Alfred leise: »Jemand folgt uns.«
Diese Worte ließen Violets Herz rasen. »Der Kerl von letztem Mal?«
»Ich bin nicht sicher. Beim letzten Mal habe ich Zigarren aus Ostindien gerochen. Jetzt rieche ich nichts, aber ich höre sie. Und sie bemühen sich nicht gerade, leise zu sein.«
Da Violet wusste, dass es auffallen würde, sich umzudrehen, zog sie einen kleinen Spiegel aus der Jackentasche, den sie für den Fall der Fälle immer bei sich trug. Während sie vorgab, sich eine Haarlocke richten zu müssen, blickte sie hinein – und sah sie.
Zwei Männer folgten ihnen, noch in ziemlich großem Abstand, doch es war sicher kein Zufall, dass sie so plötzlich aufgetaucht waren. Wahrscheinlich hatten sie die ganze Zeit über in der Nähe der Werkstatt gewartet.
»Nun, was meinen Sie? Sind das die Typen von neulich? Die, die uns ausrauben wollten?«
Violet klappte den Spiegel wieder zu und verstaute ihn in ihrer Tasche. »Nein, diese Burschen tragen Anzüge. Entweder sind das Ihre alten Freunde oder wir werden gleich eine Überraschung erleben.«
»Eine Überraschung inwiefern?«
»Lady Adair! Was für ein unverhofftes Vergnügen.«
Erschrocken hielt Violet inne. Das war doch nicht möglich! Alfred schob seine Hand in die Innentasche seiner Jacke.
Eine Gestalt schälte sich aus einer Nische zwischen zwei leer stehenden Gebäuden: Annabelle Sharpe, flankiert von zwei Agenten in unauffälligen braunen Tweedanzügen, trat unter eine Gaslampe. Obwohl auch die Spy Mistress unauffällig in ein braunes Dienstbotenkleid gehüllt war, wirkte sie wie eine Wildkatze, die jeden Augenblick zum Sprung ansetzen würde.
»Sie sind ziemlich weit von Ihrem Zuhause entfernt, wie ich sehe. Und haben Ihren getreuen Butler dabei. Da drängt sich mir doch die Frage auf, was Sie vorhaben.«
Hilfe suchend sah Violet sich nach Alfred um, doch der war genauso sprachlos wie sie selbst.
»Ich habe einen kleinen Spaziergang gemacht«, antwortete sie dann, denn etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
»Einen Spaziergang, so, so.« Annabelle Sharpe trat näher und blickte ihr prüfend ins Gesicht. Violet bemühte sich, den Blick möglichst fest zu erwidern. Der Spy Mistress nicht in die Augen zu sehen, wäre einem Schuldeingeständnis gleichgekommen.
»Eine junge Lady wie Sie, die kurz vor dem Debüt steht, zieht es also
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