Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
Abend über London hereinbrach, hatte sich die Aufregung im Haus Adair wieder halbwegs gelegt. Die Nachricht, dass ihr Mann plötzlich erkrankt sei, hatte Lady Emmeline schnurstracks ins Bett zurückbefördert. Die Vorhänge hatte sie nicht zuziehen lassen, doch Violet war sicher, dass sie sie weinen gehört hatte.
Sie selbst saß nun in der Laibung ihres Fensters und blickte hinaus auf die Gaslichter, die einen verwaschenen Schein auf das nasse Pflaster warfen. Neben sich hatte sie den Brief des Generals liegen. Warum musste er ihr gerade jetzt schreiben? Sie hätte das alles viel mehr genießen können, wenn der Schrecken nicht in ihr Haus gekommen wäre. Und sie hätte ihm auch gleich zurückschreiben können.
Doch nun fühlte sich ihr Kopf wie leer an. Solch ein Brief bedurfte einer wohlüberlegten Antwort, und zu der war sie im Moment nicht in der Lage. Seufzend strich sie über das Kuvert und rief sich ihre Begegnung wieder vor Augen, doch das Bild verblasste nur wenige Augenblicke später, als sich ein anderer Gedanke in ihren Verstand bohrte.
Plötzlich konnte sie nicht anders, sie musste sich erheben und ihr Zimmer verlassen. Noch nie war es vorgekommen, dass sie abends in das Zimmer ihres Vaters gegangen war, doch der vergangene Tag hatte alles geändert.
Vorsichtig trat sie wieder in das Schlafzimmer, in dem ihr Vater auf seinem breiten Bett lag. Schon lange teilten ihre Eltern das Schlafgemach nicht mehr, weil Lord Reginalds Schnarchen als Ursache für Lady Emmelines Migräneanfälle gehalten wurde.
Während sich Violet vorsichtig der Schlafstelle näherte, stiegen ihr Tränen in die Augen. Ihr Vater wirkte in seinem roten Morgenmantel so verletzlich, wie sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Kaum auszudenken, dass er beinahe tot gewesen wäre.
»Violet, komm ruhig näher«, sagte er plötzlich und streckte die Hand nach ihr aus. Noch immer war er ein wenig grün um die Nase, doch es schien ihm bereits wieder gut genug zu gehen, um zu lächeln.
»Ich wollte dich nicht stören«, sagte Violet, während sie seiner Bitte nachkam. »Ich wollte nur sehen, wie es dir geht.«
»Besser«, antwortete er. »Wesentlich besser. Allerdings muss ich schon sagen, dass dein Brechmittel ein ziemliches Teufelszeug ist. Ich hatte das Gefühl, ich würde meine Seele gleich mit ausspeien.«
»Dafür hat es dich von dem seltsamen Ding befreit.« Violet stockte. Sollte sie ihm sagen, dass sie Nachforschungen angestellt hatte? Vielleicht würde er dann glauben, dass er gerade deswegen angegriffen wurde.
»Weißt du, weshalb ich so entsetzt war, von den Säulen zu lesen?«, fragte er, während er sanft ihre Hand hielt.
»Nein, Papa.«
»Nun, unsere Familie hat vor einigen hundert Jahren einen Eid geleistet. Den Eid, das Königshaus, komme, was wolle, zu beschützen. Vier große Adelshäuser bildeten einen Bund, der sich Säulen des Königreichs nannte; ein Erbe, in das ich dich eigentlich erst einweihen wollte, wenn du volljährig bist. Doch wie man sieht, werden wir bedroht, und ich halte es für wichtig, dass du weißt, was unsere Aufgabe ist.«
Violet fühlte sich auf einmal, als hätte sie ebenfalls ein paar Löffel Brechmittel zu sich genommen.
»Wenn ich sterben sollte, hast du die Pflicht, die Königin zu schützen, komme, was wolle.«
»Aber Papa, du stirbst nicht!«, beharrte Violet, während ihr die Tränen kamen. Verdammt, seit wann war sie denn so weinerlich?
»Wie du siehst, kann es schnell gehen. Offenbar haben wir es mit einem Feind zu tun, mit dem niemand von uns gerechnet hat. Wir müssen alles daransetzen, dass er beseitigt wird. Ich werde gleich morgen Maßnahmen ergreifen. Die fehlenden Mitglieder müssen ersetzt werden. Der junge Stanton ist alles andere als geeignet und auch Broockston war nur die zweite Wahl. Ich werde die Arundels und die Seymores bitten, wieder dem Bund beizutreten, den sie verlassen hatten, weil sie glaubten, er sei überholt.«
»Und ich werde herausfinden, wer versucht, uns und der Königin zu schaden.«
Ihr Vater sah sie erstaunt an. »Und wie willst du das tun, mein Kind?«
»Papa«, begann Violet zögerlich, während sie an der Spitze ihres Rockes nestelte. »Es gibt einiges, von dem du nichts weißt. Seit ich dich und Lady Sharpe belauscht und gehört habe, dass du vielleicht in Gefahr schweben könntest, habe ich versucht den Mörder zu finden.«
»Violet, du hast uns belauscht?« Lord Reginald blickte sie finster an. Hätte sie zum Personal gehört, wäre sie
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