Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
Vaters. Um sich die Zeit zu vertreiben, brütete sie über ihrem Indizienbuch und versuchte sich an alle Merkwürdigkeiten der vergangenen Tage zu erinnern. Waren da noch mehr Leute, die wie Beobachter gewirkt hatten? Welche Lieferanten waren in dieser Woche ein und aus gegangen? Wo war ihr Vater gewesen?
Sie hielt es für ausgeschlossen, dass er sich die Kapsel hier im Haus eingehandelt hatte. Ein Wunder, dass sie ihm nicht in der Kehle stecken geblieben war wie diesem Broockston.
Als sie das Zimmer verließ, um sich ein wenig die Beine zu vertreten und vielleicht ein paar Scones von Mrs Myrtlewait zu ergattern, war Alfred gerade auf dem Weg zu ihr. In seiner Hand hielt er eine kleine Streichholzschachtel.
»Wie geht es Seiner Lordschaft?«
»Er schläft jetzt«, antwortete Violet und strich sich über die Stirn. Ihre Haare klebten an ihrer Haut, doch der Schweiß war mittlerweile getrocknet und auch das Zittern verschwunden. Er würde überleben. Das war das Wichtigste. »Dr. Byrton meint, dass sich das Gift, falls es denn von einer Schwarzen Witwe stammt, noch entfalten kann, aber er hat ihm ein Mittel gegeben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er wieder gesund.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Butlers. »Nun, das freut mich sehr zu hören. Offenbar scheint Ihr Vater großes Glück gehabt zu haben. Ich habe eine Spinne gefunden, aber die war bereits tot.«
»Tot?«
»Ich bin kein Zoologe, doch ich denke, dass das Brechmittel dem Tier den Rest gegeben hat, bevor es Ihren Vater zu Tode bringen konnte.«
»Und die Kapsel?«
»Die muss sich nicht richtig geöffnet haben. Denkbar wäre auch, dass Ihr Vater nur den Schmerz der sich öffnenden Kapsel gespürt hat. Das Brechmittel hat das Tier aus seinem Körper gespült, bevor es beißen konnte.«
»Wollen wir hoffen, dass dem so ist«, Violet zog die Schachtel auf. Die tote Spinne lag neben der Kapsel, bei der nur die Spitze offen war. Zwei scharfkantige Seitenteile ragten hervor, die sich wohl in seinen Magen gebohrt hatten. Eigentlich hätte die Kapsel zerfallen sollen; wäre das ordnungsgemäß passiert, hätte ihr Vater vielleicht keinen Schmerz verspürt. So hatte ihm die mangelhafte Konstruktion das Leben gerettet.
»Ein Brief ist übrigens für Sie eingetroffen, Mylady«, sagte Alfred und griff in die Tasche seines Fracks. Das Kuvert, das er daraus hervorzog, war cremefarben und aus sehr teurem Papier, wie es auch ihr Vater für besondere Briefe verwendete.
Ob wir jetzt auch irgendwelche Drohschreiben bekommen?, dachte Violet beklommen, während sie ihn an sich nahm. Vielleicht sollte ich ihn besser zur Polizei bringen. Doch da reichte Alfred ihr schon den silbernen Brieföffner, der ebenfalls auf dem Tablett gelegen hatte.
Violet schlitzte das Papier auf und schaute vorsichtig hinein für den Fall, dass sich darin eine Spinne oder eine Bombe befand.
Doch nichts weiter als ein ebenfalls cremefarbenes Blatt Papier steckte darin.
Als Violet es auseinanderfaltete, konnte sie es kaum fassen.
Sehr geehrte Lady Violet,
Sie mögen es kühn finden, dass ich mich so einfach an Sie wende, doch es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen mitzuteilen, dass es mich sehr gefreut hat, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich wäre hocherfreut, wenn wir bei Gelegenheit unser Gespräch über Erfindungen fortsetzen und vertiefen könnten. Ich wäre der glücklichste Mann auf Erden, wenn Sie mir eine Antwort zuteilwerden ließen.
Hochachtungsvoll, Hieronymus Black, General a. D.
Violet schlug das Herz bis zum Hals. Black hatte ihr geschrieben! Und er wollte sie wiedersehen! Für einen Moment war sie versucht, in Jubel auszubrechen, denn insgeheim hatte sie sich schon in tausend Szenarien ausgemalt, wie sie sich wiedersehen könnten. Doch dann kehrte sie in die Wirklichkeit zurück, die Wirklichkeit, in der ihr Vater heute beinahe das nächste Opfer der Mordserie geworden wäre.
Natürlich konnte Black nichts dafür; die Sisslebys waren mit ihrer Familie befreundet. Ein wenig schämte sich Violet jetzt sogar dafür, dass sie ihn verdächtigt hatte. Eine Augenklappe machte noch lange keinen Schurken, oder?
»Vielleicht sollte ich meiner Mutter endlich Bescheid sagen«, sagte Violet.
»Tun Sie das, Mylady. Soweit ich mitbekommen habe, hat sie Mary bitten lassen, die Vorhänge aufzuziehen. Sie wird also bereit sein, das Zimmer zu verlassen.«
Violet betrachtete noch einmal den Brief in ihrer Hand, dann nickte sie und ging zum Zimmer ihrer Mutter.
Als der
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