Bombenbrut
große Züge aus seinem Weinglas. »Schön, mit dir zu reden«, hört er sich sagen.
»Hast du morgen viel zu tun, wir könnten doch ins Ostbad?«, schlägt sie vor.
Er weicht aus. »Mal sehen, vielleicht nach der Museumseröffnung.« Dabei döst er schon fast weg.
Er hört Lena in Taisersdorf weiterreden, für ihn ist sie fern, immer ferner. Schließlich schläft er völlig erschöpft ein.
12
Die Meldung, die Björn Otto zur Bootsexplosion auf dem Bodensee in Ho-Chi-Minh-Stadt erreicht, ist zwar informativer als die Nachrichten der Tagesschau, trotzdem ist sie für ihn nicht viel aufschlussreicher. Er weiß, es war ein Anschlag, und genau dies beunruhigt ihn erst recht. Schon das Attentat auf Matthias Kluge vor einer Woche hatte ihn irritiert, danach der sicher nicht zufällige Brand in der Produktionsstätte des Prototyps in Frankfurt und jetzt diese Bootsexplosion, die ihn endgültig überzeugt, dass er nicht als Einziger hinter dem Know-how dieses verteufelten Zentralachsenspiegels her ist. Doch wer ist der dritte Spieler im Waffenpoker?
Er ist nicht so naiv, zu glauben, er allein hätte die Brisanz dieser spektakulären Erfindung frühzeitig erkannt. Die Vorgehensweise der Gegenseite spricht eine eindeutige Sprache, allerdings sehr klassisch, brutal und gewaltbereit. Er, Björn Otto, geht da mit DigDat ganz andere Wege, subtiler.
Unbemerkt von seinen Zielpersonen Stengele, Schwanke oder Kluge nimmt er sie alle ins Visier. Er ist ihnen näher, als sie es ahnen können. Otto füttert seine internen Festplatten mit immer neuen Daten, gleicht die alten damit ab und fragt fast täglich die für ihn zugänglichen Datenspeicher nach neuen Informationen zu seinen Zielpersonen ab.
Dafür lässt er die Rechner über alle Festplatten der Server pflügen, zu denen seine Firma DigDat Zugang hat. Das sind kaum noch überschaubare Datenmengen und dank seines emsigen Vertriebspartners in Europa werden es unaufhörlich mehr. Bald gibt es kein größeres Unternehmen in ›Old Europe‹ mehr, das auf seine günstigsten Datenverwaltungsangebote in Vietnam verzichtet.
DigDat hat sich spezialisiert auf Kundenservice-, Kundenpunkte-, Treuekonten-, Vielfahrer-oder Vielmieter-Programme. Unzählige milliardenfache, sich immer wiederholende Dienstleistungen müssen erfasst, bearbeitet und gespeichert werden. Monatliche Gebühren, Ratenzahlungen, Kontenzugriffe, Versicherungskonten, Abonnements und so weiter.
›Herbert Stengele; Geburtsdatum: 08.11.1952, Geburtsort: Owingen, Karten-Nr: 990068673321‹, gibt Björn Otto im fernen Ho-Chi-Minh-Stadt in seinen Rechner ein und erfährt schon bald, wo überall Herbert Stengele in den vergangen Tagen verkehrte, beziehungsweise mit dieser Karte bezahlte.
Björn Otto kann darüber hinaus personenunabhängig nach einem ihm logisch erscheinenden Raster fahnden, um schließlich auf einen Personenkreis zu stoßen. Dazu leitet er eine digitale Rasterfahndung ein, die ihm bestimmte Personen mit den von ihm bestimmten Merkmalen zuführt. Zum Beispiel, wer sich wo, wie oft in einem bestimmten regionalen Gebiet aufhält. Dafür gibt er in seinen Rechner seine Zielorte ein. Danach beginnt das digitale Fahnden: Er durchsucht alle ihm zugänglichen Kreditkartenkonten in dieser Region, gleichzeitig prüft er sämtliche laufende Handykonten ab, weiter checkt er von allen Fluglinien, die von seiner Firma betreut werden, die Buchungslisten: Zürich, Stuttgart, München oder Wien sowie sämtliche Mietwagen-Service-Stationen und vor allem die Cash-und Kundenpunkte-Konten, von denen er fast alle in ganz Europa unter Vertrag hat, ebenso die Kundenpunkte der Hotels.
Parallel dazu gleicht er anschließend nochmals alle Daten der Beteiligten ab, auf die er bisher im Zusammenhang mit den neuen Patenten dieser Immenstaader Firma gestoßen ist. Er gibt ihre Namen ein und lässt auf allen zugänglichen Festplatten von sämtlichen Firmen, die er betreut, die kompletten Daten betreffend der Personen, die bisher nach seinen Informationen mit dem Spiegel zu tun haben, herausfiltern. Damit leitet er eine äußerst umfangreiche Rasterfahndung in seinem Netzwerk ein, in einer Dimension, zu der keine Polizei der Welt fähig wäre.
›Big brother is watching you!‹, heißt es in Orwells Klassiker über einen fiktiven Überwachungsstaat. Von wegen, hatte Otto längst erkannt. ›Many sisters are looking for you!‹, ist seine Devise, und er ist ihr alles überblickende Vater seiner vielen Kunden.
Dabei hat er
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