Bombenbrut
Petrijünger einen Bodenseefelchen nach Matjesart servieren lassen, eine Spezialität des Hauses.
»Rein statistisch werden 95 Prozent aller Morde bei uns aufgeklärt, das ist doch was«, ereifert sich ein Kollege neben Sibold, »fast alles Beziehungstaten, selbst nach jedem Raubmord haben wir genügend Hinweise und Spuren, die uns zu den Tätern führen. Allerdings ist das manchmal nicht so einfach. In diesem Fall fehlt uns nach wie vor das Motiv oder sagen wir, es ist sehr vage.«
Kommissar Horst Sibold mustert seine Kollegen der übergeordneten Behörde. »Wir waren uns schon einig, als ich abgezogen wurde«, stochert Sibold unablässig weiter, »dass ein ausländischer Geheimdienst seine Finger im Spiel hat. Wir haben eindeutige Hinweise, dass ehemalige Stasimitarbeiter hinter der Exekution stehen könnten.«
»Schön wär’s gewesen«, antwortet der ältere Kollege in der Runde in hörbar sächsischem Dialekt und greift zu der Flasche Müller-Thurgau im Weinkühler auf dem Tisch, »aber glauben Sie uns, Herr Sibold, das war eine Hypothese, die wir nur nach Sachlage der ersten Anzeichen vor Ort aufgestellt hatten. Leider haben sich für diese Vermutungen keinerlei weitere Hinweise gefunden. Rein gar nichts, auch nicht in unseren Archiven oder bei unseren einschlägig bekannten ehemaligen Stasimitarbeitern.« Ungeschickt füllt er sein Weinglas und lässt die Flasche mit einem Krachen in die Eiswürfel des Kühlers zurückfallen.
Seine Kollegen schmunzeln, heben ihre Gläser und prosten dem betagten Kollegen zu. Der Jüngste von ihnen sagt frech in seine Richtung: »Und das müsstest du doch wissen, Onkel Mielke.«
Horst Sibold überhört höflich den bissigen Tonfall gegenüber dem älteren Kollegen aus Sachsen und prostet mit seinem Mineralwasser in die Runde. »Wenn es nicht die Stasi war, es sich aber offensichtlich um einen geplanten Waffenverkauf von Kluge handelte – ein anderes Motiv gibt es ja nicht –, welcher Geheimdienst könnte sonst Interesse an Kluges Tod haben?«
»Kollege Sibold«, ätzt ein weiterer Beamter der Runde, »schauen Sie, wir machen den ganzen Tag nichts anderes, als genau dieser Frage nachzugehen. Nach Dienstschluss aber, da genießen wir den Feierabend, sitzen hier in dieser schönen Seestadt, flanieren über die Promenade und versichern unseren Lieben zu Hause, dass wir bald heimkommen werden. Und genau das haben wir auch vor.«
Horst Sibold wehrt mit der linken Hand ab, mit der rechten streicht er unbeholfen und ohne Ziel über seinen breiten Schädel, lächelt bescheiden, schiebt seinen leeren Teller weg und entschuldigt sich: »Liebe Kollegen, ich verstehe Sie. Aber versetzen Sie sich einmal in meine Lage: Was soll ich denn diesem Herrn sagen, der behauptet, er habe den Sohn des ermordeten Kluge von einem Motorboot wegfahren sehen, das wenige Minuten später explodierte und auf dem drei Menschen starben?«
»Iraner«, lacht einer.
»Bitte«, wirft der ältere Kollege entrüstet ein.
»Ist doch wahr«, gibt der Zurechtgewiesene zurück, »wir sitzen hier beim Feierabendwein. Den ganzen Tag diskutieren wir über nichts anderes. Mir können die Iraner oder Israelis allesamt den Buckel runterrutschen. Bei den ganzen Anweisungen, die wir bekommen, in welche Richtung wir nicht ermitteln sollen und in welche doch, da kann eine Tat nie aufgeklärt werden!« Er nimmt einen großen Schluck Weißwein und richtet deutlich an Sibolds Adresse: »Warum, glauben Sie, hat man Sie abgezogen?« Ein zynisches Lachen verlässt seine Lippen. »Weil Sie ohne Anweisungen ermitteln. Das tun wir nicht. Wir trinken lieber einen, also zum Wohl!«
Jeder in der Runde schaut auf das Glas vor sich. Niemand antwortet. Die Sonne über dem See geht langsam unter, die Schatten in der Fußgängerzone werden länger. Ein paar Jugendliche radeln am Hotel vorbei. Eine Polizeistreife fährt langsam hinter ihnen her.
Horst Sibold räuspert sich und wagt einen letzten Versuch: »Kollegen, ich verstehe Sie ja, aber, verdammte Scheiße, kann es angehen, dass ausländische Geheimdienste sich nicht an unsere Gesetze in Deutschland halten müssen?«
»Wenn sie in unserem Sinne handeln«, lächelt der ältere Beamte süßlich, »warum denn nicht?«
»Dann müssen sich unsere nicht ihre Finger schmutzig machen«, jubelt der Jüngere wieder frech. »Alla, do bschdelle ma noch ä Flasch«, beschließt ein zurückhaltender Kollege, der bislang den ganzen Abend kein Wort von sich gegeben hatte. »Schließlich koschd
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