Bombenspiel
Lindas ausdrücklichen Wunsch mit hierher gekommen und musste zugeben, dass es – zumindest kulinarisch gesehen – keinen Grund zur Reue gab. Nur den Winter wünschte er zum Teufel.
Nunmehr lebte er seit fast drei Monaten in Deutschland. Drei lange, kalte Wintermonate. Der Afrikamann hatte lange gebraucht, um zu realisieren, dass eine Frau wie Linda Roloff es wert war, Afrika zu verlassen. Er war unter afrikanischer Sonne aufgewachsen, brauchte die Savannen, die langen Fahrten offroad, die Nächte unter dem Kreuz des Südens. Er liebte den Duft von Elefantenkot, das heisere Bellen der Zebrahengste und den Händedruck der Massai. Er war einer von ihnen. Nie hatte er sich vorstellen können, Afrika einmal den Rücken zu kehren und lange hatte er sich dagegen gewehrt. Auch nachdem Linda in sein Leben getreten war.
Sie hatten sich kennengelernt, als sie vor fünf Jahren nach Kenya gekommen war, um ihren verschollenen Exmann zu suchen. Alan hatte ihr geholfen und sie hatten sich ineinander verliebt. Doch Alan war an den Diani-Beach zurückgekehrt, wo sein Boot, die Marlin II, vor Anker lag und hatte weiterhin die Touristen zum Hochseefischen auf den Indischen Ozean hinausgefahren.
Auf der Simba King-Lodge in der Massai Mara hatten sie sich wiedergesehen, und nachdem ihn Linda vor zwei Jahren in Südafrika davor bewahrt hatte, wegen Mordverdacht ins Gefängnis zu wandern, hatte er beschlossen, ihr nach Deutschland zu folgen. Aber diesmal war das Schicksal gegen sie gewesen, und es hatte erneut über ein Jahr gedauert, bis er sich endlich in Nairobi in die Maschine gesetzt hatte und über Amsterdam nach Stuttgart geflogen war.
Nie zuvor in seinem Leben war er sich einer Sache so sicher gewesen wie bei dieser Frau. Bereits nach seiner Ankunft auf dem Stuttgarter Flughafen hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Die Hochzeit hatten sie auf den 9. Mai festgelegt. Linda schwebte seither auf Wolke sieben. Dass sie und Alan in Deutschland leben würden, schon wegen Sarah, stand für sie fest, darüber gesprochen hatten sie allerdings nie. Die Hochzeitsreise, so viel hatte Linda schon mal durchgesetzt, würde nicht nach Afrika führen. Alan hatte zugestimmt, aber je länger er darüber nachdachte, desto mehr bedauerte er diese Entscheidung.
Er liebte Linda, er liebte sie mehr, als er je eine Frau geliebt hatte. Doch er liebte auch Afrika Und Afrika war sein Leben gewesen. Bisher. Jetzt war er dem deutschen Winter ausgesetzt. Nass. Kalt. Dunkel.
Er vermisste die Sonne. Das bisschen, was sich von ihr zeigte, an den trostlosen grauen Tagen am Neckar, reichte nicht, um ihm Heiterkeit zu bescheren. Er machte sich auf den beschwerlichen Weg hinauf zum Tübinger Schloss, um ihr näher zu sein, auch dort war nur der Himmel hell, grell, fast weiß, blendete ihn, doch die Sonne sah er nicht. Unten floss der Neckar. Von laublosen Platanen begrenzt, Enten schnatternd im kalten Wasser, kahle Ufer, trostlos trist. Der Neckar war eben weder der Uaso Nyiro noch der Mara. Er vermisste die Savannen an seinen Ufern. Junges grünes Gras, oder gelbes, in der Sonne verbranntes weites Land.
Wenn er droben stand, an der Mauer des Schlosses Hohentübingen, und sein Blick hinüberging nach Südwesten zu den Höhenzügen des Rammert und – weiter östlich – der Schwäbischen Alb, stellte er sich die grünen Hügel der Massai Mara vor, gesprenkelt wie ein Gepardenfell von den Leibern der Gnus und Zebras, die an ihren Hängen grasten.
Er fuhr hinaus aus der Stadt Richtung Hechingen oder Reutlingen. Stand im Stau. Ampeln bremsten jeden Fluss, die Verkehrsführung ein Chaos. Er vermisste die langen Fahrten offroad. Sand zwischen den Zähnen, die Sonne tief im Gesicht stehend, während man die Einfahrt zum nächsten Camp passierte. Nach dem Essen eine Runde am Lagerfeuer, Gin Tonic, das Lachen der Hyänen, und der Honigdachs, der kam, um sich die Reste der T-Bone-Steaks zu sichern. Er vermisste die Nächte unter dem Kreuz des Südens. Und das Erwachen bei Tagesanbruch.
In Deutschland stand er um 7 Uhr auf, eine Stunde später als sonst, und blickte bei geöffnetem Fenster in eine Nebelwand und kalten Niesel in stockfinstrer Nacht. Die Luft roch nach Abgasen, der Lärm der Reifen, die über regennassen Asphalt rauschten, verdrängte jedes andere Geräusch und beim Bäcker unten am Eck, bei dem er morgens fast immer der erste Kunde war, gab es statt eines Händedrucks und dem Lächeln Afrikas höchstens ein mürrisches ›Morga!‹ – oder
Weitere Kostenlose Bücher