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Bone 01 - Die Kuppel

Titel: Bone 01 - Die Kuppel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peadar O'Guilín
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niemand gerne denken.
    In einer Ecke saß Moosherz und weinte, von allen anderen unbeachtet. Viele Leute weinten in diesen Tagen, vermutete Stolperzunge. Sie blickte nicht zu ihm auf, und er wusste nicht, was er zu ihr sagen sollte, selbst wenn er seine Zunge in der Gewalt gehabt hätte.
    »Er hat draußen gewartet«, sagte Wasserschluck. »Ich dachte mir, dass ich gerne einen Bissen von ihm nehmen würde.«
    »Mach doch«, sagte Baumsänger, Runzelstirns Frau. »Mit seinen blauen Augen ist er bestimmt genauso schmackhaft wie sein Bruder.«
    Stolperzunge errötete unter dem Gelächter der Frauen, und seine Zunge war wie ein Stein. Er wünschte sich, er wäre niemals hierhergekommen – oder dass er wenigstens nicht an der Tür gezögert hätte. Aber es war nun einmal so, dass die Jäger das Haus der Ehre fürchteten. Jedem Mann, der so dumm war, ein Kerbholz zu berühren, drohte großes Unglück. Man erzählte sich die Geschichte von Trockenspeer, der sein Leben verwirkt hatte, weil er hierhergekommen und in einen Haufen mit den heiligen Hölzern gefallen war.
    »Vergib uns, Stolperzunge«, sagte Baumsänger. Sie war alt, und ihr Gesicht zeigte die Falten vieler tausend Tage voller Unfug und guter Laune. Sie war dabei, neue Kerbhölzer aus einem Haufen Äste zu schnitzen, die die anderen Frauen für sie entrindeten. »Wir sollten uns nicht über dich lustig machen …«
    »Du meinst, du solltest es nicht tun!«, sagte Wasserschluck. »Eine Frau in deinem Zustand …«
    Baumsänger lächelte, wodurch die Falten in ihren Augenwinkeln noch tiefer wurden. »Ja, ich bin ein böses Mädchen, das ist wahr.« Sie legte das Kerbholz weg, an dem sie gearbeitet hatte, und griff nach Stolperzunges Hand. »Es war die richtige Entscheidung hierherzukommen. Nach den schlimmen Zeiten, die wir durchlebt haben, dachte ich, wir würden viel mehr Besucher haben.« Sie zuckte mit den Schultern. »Warte hier. Ich weiß genau, wo sie ist.«
    Baumsänger erhob sich vorsichtig, eine Hand auf ihren angeschwollenen Bauch gelegt. Ihre Schädeldecke reichte ihm nur bis zur Brust. An der Tür strich sie mit einer Hand über einen Stapel Kerbhölzer.
    Stolperzunge erschauderte. Irgendwo in diesem Stapel, durch Beerensaft vor dem Verrotten geschützt, lagen vielleicht die Hölzer des Reisenden, von Friedensmacher oder anderen großen Helden des Stammes. Kein Mann konnte einen Stock vom anderen unterscheiden. Aber Frauen schienen es zu können. Es hieß, dass sie die Hölzer sogar dazu benutzen konnten, um vorherzusagen, aus welcher Ehe kranke Kinder hervorgehen würden.
    »Da«, sagte Baumsänger und zog einen Stock aus dem Haufen.
    Sie hielt ihn hoch, damit Stolperzunge ihn betrachten konnte, aber darauf bedacht, ihn nicht damit zu berühren. Das Kerbholz seiner Mutter, ein Stock, der nicht länger als sein Unterarm war, über die ganze Länge mit winzigen Ritzern in komplizierten Mustern verziert.
    »Siehst du dieses kleine Kreuz, Stolperzunge? Nein, das ist Wandbrecher. Hier ist das zweite. Das bist du.«
    »M-meine G-geburt?« Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Sie fehlte ihm so sehr.
    »Natürlich nicht! Geburtstage werden niemals markiert. Das war der Tag, an dem du vom Stamm angenommen wurdest. Dein Namenstag. Ich erinnere mich noch gut daran, weil es viele gab, die nicht wollten, dass du einen Namen erhältst.« Er wäre sehr schnell als Freiwilliger erwählt worden, wenn es so gekommen wäre, aber Mutter hatte ihn beschützt, wie es schien, und das nicht zum letzten Mal.
    »Sie war so glücklich, dass du verschont wurdest«, sagte Baumsänger. »Danach hat sie noch zehn Tage lang ununterbrochen gelächelt.«
    »Gut, dass er angenommen wurde«, sagte Wasserschluck. »Mein Steingesicht sagt, dass der Bursche ein guter Jäger ist, auch wenn er ein schlichtes Gemüt besitzt.«
    »Er ist nicht schlicht«, sagte Moosherz plötzlich. Ihre wunderschönen Augen waren völlig rot vom Weinen und Reiben. »Es ist nur seine Zunge.«
    Wasserschluck öffnete den Mund, doch Baumsänger brachte sie mit einem Blick zum Schweigen, der sagte: Ärgere das Mädchen nicht – du weißt doch, wie sie dann reagiert.
    Aber Moosherz war bereits verärgert. Schnell stand sie auf und stapfte aus dem Haus, wobei sie Stolperzunge fast rückwärts in einen Haufen Kerbhölzer gestoßen hätte.
    Baumsänger schüttelte den Kopf. »Dein Bruder… warum kann er bei Nacht nicht genauso nett sein wie bei Tage?«
    Wieder lachten die anderen Frauen, aber diesmal

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