Bone 01 - Die Kuppel
er braucht neue Jäger und mehr Frauen, die unsere Mauern befestigen und unser Fleisch räuchern. Ich werde selbst den Brautpreis für Stolperzunge zahlen, damit er sich eine der unverheirateten Frauen des Stammes aussuchen kann!« Noch mehr Jubel folgte, echter Jubel, als hätten die Menschen erst jetzt erkannt, dass sie gewonnen hatten und endlich in Sicherheit waren. Mitten im wilden Schulterklopfen fragte sich Stolperzunge, was Wandbrecher mit »unverheirateten Frauen« gemeint hatte. Hatte er Indrani bereits freigegeben? War sie bei den Kämpfen zu Tode gekommen? Aber er wagte es nicht, solche Fragen in der Öffentlichkeit zu stellen. Sobald er die Gelegenheit erhielt, schob sich Stolperzunge durch die Leute zum Haus des Häuptlings, in das sich Wandbrecher bereits zurückgezogen hatte. Stolperzunge trat nicht ein. Wenn Indrani drinnen wartete, durfte man ihn nicht mit ihr sehen. Noch nicht. Aber er musste wissen, ob sie noch am Leben war. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass sie in irgendeiner Speisekammer lag, vielleicht sogar in der Speisekammer dieses Hauses. Er legte eine Hand an den Türrahmen, um sich zu stützen. Solange er nicht allein mit seinem Bruder sprechen konnte, gab es für ihn keine Möglichkeit herauszufinden, was mit ihr geschehen war. Er rief ein paarmal, erhielt jedoch keine Antwort von drinnen. Die ausgelassene Feier, die mit Wandbrechers Rede begonnen hatte, übertönte seine Stimme. Vielleicht war das der Grund, warum niemand zum Eingang kam, um ihn zu begrüßen. Er konnte in einem Zehntel wiederkommen – oder schon früher, wenn nicht mehr so laut gesungen wurde.
Hinter ihm holten sich die Leute Fleisch von den Räucherfeuern und tanzten darum herum. Ein paar sprangen sogar über die Flammen, als wäre es eine Hochzeitsfeier. Die meisten diskutierten aufgeregt über die Macht des Sprechers. Sie lächelten, wenn Stolperzunge vorbeikam, aber sie wussten, dass sie seiner stockenden Zunge keine Geschichte entlocken konnten, und ließen ihn in Ruhe.
Er streifte durch ein paar Straßen, bis er sein neues Haus erreichte. Blut war in den festgestampften Boden gesickert und getrocknet, und in einer Ecke lag ein kleiner Pelzklumpen, vielleicht von einem Hüpfer.
Die Schlaffelle waren so gut wie unberührt geblieben. Er setzte sich darauf, beobachtete das Licht, das von draußen hereindrang, und hoffte, dass die Feier bald zu Ende war.
Nachdem eine Ewigkeit vergangen war, machte er sich auf den Rückweg zum Haus seines Bruders. Der Mittelplatz hatte sich kaum geleert, aber nun waren die meisten Leute mit Essen beschäftigt. Vor der Belagerung hatten sie es vorgezogen, ihre Mahlzeiten in Familiengruppen zu sich zu nehmen, aber die Kämpfe hatten die Überlebenden enger zusammengebracht.
Er rief nach Wandbrecher, der hinter einem dicken Fellvorhang auftauchte. Der Häuptling nickte seinem Bruder zu, lächelte aber nicht, wie er es in der Öffentlichkeit getan hatte, und forderte ihn auch nicht zum Eintreten auf. Wandbrecher trug den Sprecher in einem Beutel an seinem Gürtel. Gut, dachte Stolperzunge. Seine Sprache würde verständlich sein. Das konnte er gut gebrauchen.
Der Sprecher sagte mit Stolperzunges Stimme: »Wann wirst du sie freigeben?«
»Es wäre sehr grausam von mir, wenn ich in der jetzigen Lage eine Frau von mir freigeben würde«, erwiderte der Häuptling. »Das kann ich keiner meiner Frauen antun.«
Stolperzunge starrte ihn nur an und konnte nicht glauben, was er gehört hatte. Wandbrecher machte Anstalten, ins Haus zurückzugehen, doch dann fand Stolperzunge seine Stimme wieder.
»Du hast es mir versprochen!«
»Stolperzunge, du weißt, dass ich das Versprechen nur gegeben habe, weil Indrani zu diesem Zeitpunkt nicht hier sein wollte. Ich hatte nicht die Absicht, sie zum Bleiben zu zwingen. Aber während der Kämpfe … nun ja, ich habe ihr das Leben gerettet, und sie war mir so dankbar, dass sie…«
»Das ist eine Lüge!«
»Sprich leiser!«, zischte Wandbrecher. »Vergiss nicht, dass auch du mir ein Versprechen gegeben hast. Willst du, dass der ganze Stamm es hört?«
»Die Leute fragen sich bestimmt, warum du deinen eigenen Bruder nicht in dein Haus eintreten lässt und er vor deiner Tür stehen muss!«
»Ich lasse niemanden mehr in mein Haus eintreten. Alle wissen das. So kann ich meine Familie am besten schützen.«
»Das ist Wahnsinn! Lass mich mit Indrani sprechen. Wenn ich nicht hineinkommen darf, schick sie heraus, damit sie mir selbst sagen
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