Bone 01 - Die Kuppel
Er sah auch nicht wie jemand aus, der genügend Schlaf bekommen hatte. Seine Augen waren blutunterlaufen und verquollen. Suppenreste klebten in seinen Mundwinkeln.
»Es tut mir leid um W-w-wasserschluck und L-lächelmund«, sagte Stolperzunge. »Sie hätten noch t-t-tausend T-tage vor sich g-gehabt.«
»Ja«, sagte Steingesicht traurig. »Das hätten sie.« Er legte das Messer weg. »Die Männer durchsuchen bereits unser altes Versteck, von wo aus wir den Sprecher gestohlen haben. Es war sehr geschickt von dir, zur Zartling-Seite zu verschwinden, aber als Nächstes werden sie hierherkommen. Dies ist kein gutes Versteck für dich.« Er musterte Indrani und blinzelte langsam mit den müden Augen. »Du solltest in ein anderes Gebäude umziehen. Ich werde dir helfen, sie zu tragen, obwohl sie aussieht, als wäre sie bereit, sich freiwillig zu melden, ganz gleich, was du jetzt noch für sie tust.«
Sie brachten Indrani und die Decken in ein anderes Haus in der Nähe. Dann trugen sie die Nahrungsvorräte und Stolperzunges wenige Waffen hinüber. Als sie gingen, löste Stolperzunge eine Falle auf der Treppe aus, indem er einen Stein auf die entsprechende Stufe warf. Das halbe Dach stürzte ein. Er wollte nicht, dass seine alten Freunde versehentlich hineintappten. Außerdem würden sie mehr Zeit benötigen, sich durch die Trümmer zu wühlen, um aufs Dach zu gelangen.
»Stolperzunge?«, sagte Steingesicht. Der jüngere Mann nickte und wartete. Steingesicht war schon immer sehr leicht zu durchschauen gewesen. In diesem Moment hatte sich seine Miene versteift, als hätte er auf ein besonders hartes Knorpelstück in seiner Brühe gebissen. »Wandbrecher glaubt, dass du und ich unter einer Decke stecken. Heute früh hat er versucht, mich verfolgen zu lassen. Und … und da ist noch etwas anderes… Wandbrecher sagte … ich glaube, es ist so etwas wie eine Botschaft an dich. Er sagte, wenn du ohne sie nach Wege zurückkommst … wenn du ganz allein bist, dann wird er dir verzeihen. Er wird alle Gerüchte zerstreuen, dass du sie entführt hast, und behaupten, dass sie von sich aus geflüchtet ist. Er hat den anderen sogar gesagt, sie sollen nur nach ihr suchen. Er hat durchblicken lassen, dass sie im Fieberwahn ist und nicht als Freiwillige ausgewählt werden will.«
Beide Männer wandten sich gleichzeitig Indrani zu. Sie litt unter etwas viel Schlimmerem als Fieberwahn. Sie brannte unter dem Ansturm einer Armee feindlicher Vorfahren. Doch Stolperzunge erinnerte sich, wie gut sie sich um ihn gekümmert hatte, als die Leute ihn als Freiwilligen hatten sehen wollen. Für sie sollte er mindestens das Gleiche tun, und das teilte er Steingesicht mit.
Aus irgendeinem Grund schien dieser Gedanke Steingesicht aufzumuntern. Vielleicht brauchte er die Ablenkung. »Ach, du bringst mich immer wieder in Schwierigkeiten, Stolperzunge! Aber es ist doch genau die Art von Schwierigkeiten, die gut für einen Mann sind, was?«
Steingesicht ging noch nicht sofort. »Das hätte ich ja fast vergessen! Sie haben Quetschfaust gefunden.«
»S-seine L-l-leiche?«
»Nein! Das ist das Erstaunliche daran. Er lebt. Sein gesamter Trupp wurde in Zartling-Wege von Panzerrücken getötet, und er hatte ein verletztes Bein, sodass er nicht mehr laufen konnte. Aber er hat es geschafft, sich dort zu verkriechen, und trotz seiner vielen Wunden konnte er noch ein paar Feinde erlegen, damit er Gesellschaft hatte, während er sich pflegte.«
»W-w-wandbrecher?«
»Ach, er hat ihn im alten Hochzeitsturm eingesperrt. Das ist doch sein gutes Recht, was? Quetschfaust ist ein gescheiterter Anwärter. Aber die Leute sind gar nicht glücklich damit, und Wandbrecher wird ihn nicht gegen Fleisch tauschen können, bis die Nahrung wirklich knapp geworden ist.«
Oder Quetschfaust hatte das Pech, Mooswesen zu essen, dachte Stolperzunge. Der ungeliebte Häuptling konnte es sich nicht leisten, für längere Zeit einen lebenden Helden in seiner Nähe zu dulden. Und schon gar nicht jemanden, der so gefährlich wie Quetschfaust war.
Steingesicht schlug dem jüngeren Jäger auf den Rücken und verließ ihn auf demselben Weg, den er gekommen war.
Anschließend wurde Stolperzunge von der Einsamkeit überwältigt. Zuerst wurde er wütend auf seinen Bruder, und dann weinte er, weil er ihn verloren hatte.
Den Rest des Tages verbrachte er damit, auf dem Dach einen Unterschlupf zu bauen. Manchmal sah er Jäger vorbeiziehen, Menschen und Krallenleute. Einmal entdeckte er sogar
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