Bonita Avenue (German Edition)
der Tischdecke. Er wirkte müde, sein Anzug sah im grellen Tageslicht zerknittert aus.
«Was möchtest du essen, Liebes?»
«Papa, ich habe doch meine Butterbrote.»
«Wirf sie einfach weg. Ich nehme ein Beefsteak auf Brot. Das ist ganz hervorragend hier. Wie ist es in Wirtschaftslehre gelaufen?»
«Einigermaßen.»
Er klappte die in Leder gebundene Karte zu, winkte dem Ober und bestellte zweimal Beefsteak mit Brot. Er sagte etwas über unseren Konrektor, ein spröder Mann sei das. Und dann, mehr zu sich selbst als zu mir: «So. Und jetzt.»
Übergangslos erzählte er mir, was dieser Maurice ihm am Sonntagnachmittag mitgeteilt hatte, jedenfalls versuchte er das: Zuerst verhedderte er sich in einer verquasten Einleitung, und einen Moment lang schien es sogar, als wollte er einen Rückzieher machen, dann aber räusperte er sich und wurde konkreter. Aufgebracht berichtete er mir von dem Taschentuch, immer noch verbrämt und umständlich, und als er beim Schal angekommen war und bei dem, was Wilbert hinter dem Duschvorhang angestellt hatte, verstummte er einfach; sein Mund war rund und das, was er sagen wollte, viereckig. Warum fällt es so schwer, mit Eltern über Sex zu reden? Wir schämten uns beide, ich mich vor allem für ihn, bis er gewissermaßen einen Hammer nahm und den Schlamassel, der ihm seine Nachtruhe geraubt hatte, mit harten Schlägen raushämmerte.
Ich sagte, glaube ich, «Schitte», in leicht erstauntem Ton. Ein freundlicher Kinderfluch als Resultat von mindestens zwei Gefühlen, die während des krampfhaften Herumdrucksens meines Vaters kräftig an mir gezerrt hatten. Das fatalere von beiden war meine Neigung, in Lachen über das auszubrechen, was sich wie die soundsovielte Steigerung von Wilberts Dummejungenstreichen anhörte, die ich tief in meinem Innersten mit der Zeit immer interessanter und aufregender gefunden hatte, vor allem auf diesem schwülen Terrain, auf dem es darum ging, was Jungs mit Mädchen anstellen konnten und umgekehrt. Gleichzeitig war es genau das, was mich davon abhielt zu lachen – ich hütete mich davor. Ja, das zweite Gefühl war Besorgnis. Mein Vater war allergisch gegen Wilberts ganze Art, das war nur allzu deutlich, aber von all seinen Verärgerungen schien eine besonders tief zu sitzen und dabei am wenigsten sichtbar zu sein: Wilberts, wie nennt man das, Zügellosigkeit? Ja, es war mehr als Hemmungslosigkeit. Seine Aggressivität, seine Faulheit, seine Entschiedenheit (seine Dummheit, wie mein Vater fand), darüber konnte man hervorragend streiten, darüber konnten sie sich mit offenem Visier die Köpfe einschlagen, nicht aber über dieses schlüpfrige und versaute Reden, dieses permanente Rasen seiner Hormone, das ging einfach nicht. Seit Wilbert bei uns wohnte, war das Bauernhaus ein Teilchenbeschleuniger. Wilbert und Sex, Siem machte das nervös, verrückt. Bevor der verlorene Sohn in den Vaterschoß zurückkehrte, hatten Vulgarismen in unserem Bauernhaus die Wirkung eines elektrischen Weidezauns, sobald wir uns dem Haus bis auf zweihundert Meter näherten, schraubten sich unsere Kehlen zu, Janis und ich wurden akut von Vulgarismenaphasie befallen. Aber Wilbert sagt zu allem von der ersten Minute an «affentittengeil» oder «verfickt» oder «heiß» oder einfach nur «scharf», und wenn ihm etwas nicht auf Anhieb gelingt, gibt es kein Halten mehr. Bereits nach drei Wochen nimmt er eines Samstagnachts ein Mädchen aus der Stadt mit nach Hause, am Morgen steht ein fremdes blau-rotes Hollandrad am Kastanienbaum neben der Terrasse. Den ganzen Sonntag warten meine Eltern wie ein streng religiöses Ehepaar darauf, wer da nun die Treppe runterkommen wird; aber lange Zeit kommt niemand die Treppe runter, bis Wilbert und das Mädchen schließlich um halb fünf am Nachmittag halbnackt im Wohnzimmer erscheinen – «wir wollen uns nur schnell mal ein paar Eier in die Pfanne hauen».
Aber anstatt dass er die beiden tatsächlich Spiegeleier braten lässt, zischt mein Vater voll angestauter Wut, die Küche sei geschlossen – geht duschen und verschwindet, beide. Kurzzeitfreundinnen sahen wir danach nicht mehr, das erledigte Wilbert fortan woanders, aber herumfliegende Sexzeitschriften und Kondompackungen dafür umso öfter. Eines Tages stürmt mein Vater in Wilberts Zimmer und hält ihm eine haushohe Telefonrechnung hin – mit Verbindungsnachweis natürlich. Lauter Nulleinhundertneunzig-Nummern. Diese Art von Verhalten in einem Haus, das man vor seiner Ankunft Stein
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