Bonjour Tristesse
junge Männer. Er war völlig besessen von
dem Zwang, genügend zu verdienen, und rannte ununterbrochen dem Geld nach.
Daher kam sein unruhiges, gehetztes Wesen, das etwas Unanständiges an sich
hatte. Er war lange Zeit Elsas Geliebter gewesen, denn sie war trotz ihrer
Schönheit nicht besonders habgierig, und ihre Gleichgültigkeit auf diesem
Gebiet hatte ihm gefallen.
Seine Frau war ein böses Geschöpf. Anne
kannte sie nicht, und ich sah, wie ihr schönes Gesicht sehr schnell jenen
verächtlichen und spöttischen Ausdruck annahm, der ihr unter Menschen zur
Gewohnheit geworden war. Charles Webb redete wie gewöhnlich sehr viel, immer
mit einem forschenden Blick auf Anne. Er zerbrach sich offensichtlich den Kopf
darüber, was sie mit diesem Schürzenjäger Raymond und seiner Tochter zu tun
habe. Ich dachte mit einem Gefühl von Stolz daran, daß er es sehr bald wissen
würde.
Mein Vater neigte sich ein wenig zu ihm
hinüber, als er wieder frischen Atem schöpfte, und erklärte unvermittelt:
»Ich habe eine Neuigkeit, mein Lieber:
Anne und ich werden am 5. Oktober heiraten.«
Webb sah sie einen nach dem anderen an,
stumm und starr vor Staunen. Ich amüsierte mich sehr. Seine Frau war völlig aus
der Fassung gebracht. Sie hatte immer eine Schwäche für meinen Vater gehabt.
»Ich gratuliere«, rief Webb schließlich
mit Stentorstimme. »Aber das ist ja eine herrliche Idee! Meine liebe gnädige
Frau, daß Sie sich mit so einem leichtsinnigen Burschen belasten wollen! Sie
sind göttlich!... Kellner!... Das muß gefeiert werden.«
Anne lächelte ruhig und gelöst. Und
dann sah ich, wie Webbs Gesicht sich aufheiterte, und ich drehte mich nicht um.
»Elsa! Mein Gott, das ist Elsa
Mackenbourg! Sie hat mich nicht gesehen. Raymond, hast du bemerkt, wie schön
dieses Mädchen geworden ist?«
»Ja, nicht wahr?« sagte mein Vater wie
ein glücklicher Besitzer.
Dann besann er sich, und sein Gesicht
wechselte den Ausdruck.
Anne konnte die Betonung, mit der er
das gesagt hatte, unmöglich nicht bemerkt haben. Sie wandte ihr Gesicht mit
einer schnellen Bewegung von ihm zu mir. Als sie den Mund öffnete, um irgend
etwas zu sagen, beugte ich mich zu ihr:
»Anne, Ihre Eleganz richtet
Verheerungen an; da hinten ist ein Mann, der Sie nicht aus den Augen läßt.«
Ich hatte das in einem vertraulichen
Ton gesagt, aber doch laut genug, damit es mein Vater hören konnte. Er drehte
sich auch gleich lebhaft um und betrachtete den Mann, von dem die Rede war.
»Das habe ich gar nicht gern«, sagte er und nahm Annes Hand.
»Sind sie nicht reizend!« sagte Madame
Webb ironisch. »Charles, du hättest diese beiden Liebenden nicht stören sollen.
Es hätte genügt, die kleine Cécile einzuladen.«
»Die kleine Cécile wäre nicht
gekommen«, sagte ich unbeherrscht.
»Und warum nicht? Haben Sie Liebhaber
unter den Fischern?«
Sie hatte mich einmal im Gespräch mit
einem Autobusschaffner auf einer Bank gesehen, und seither behandelte sie mich
wie jemanden, der gesellschaftlich deklassiert ist — oder jedenfalls das, was
sie als »deklassiert« bezeichnete.
»O ja«, sagte ich mit Nachdruck, um
fröhlich zu wirken.
»Und Sie halten es aus, mit diesen
primitiven Männern beisammen zu sein?«
Zu allem anderen kam sie sich auch noch
geistreich vor. Nach und nach geriet ich in Wut.
»Ich halte sie zwar nicht aus — aber
ich halte es aus.«
Ein Schweigen entstand. Dann erklang
Annes Stimme, ruhig wie immer.
»Raymond, könntest du den Kellner um
einen Strohhalm bitten? Für Orangensaft braucht man unbedingt Strohhalme.«
Charles Webb knüpfte daran schnell ein
Gespräch über erfrischende Getränke. Mein Vater kämpfte mit dem Lachen, ich sah
es an der Art, wie er sich in sein Glas vertiefte. Anne warf mir einen
flehenden Blick zu. Und gleich darauf beschlossen wir, miteinander zu dinieren,
wie Leute, die sich um ein Haar zerstritten hätten.
Ich trank sehr viel während des Essens.
Ich mußte Annes unruhigen Ausdruck vergessen, wenn sie meinen Vater ansah, und
die unbestimmte Dankbarkeit in ihren Augen, wenn sie an mir hängenblieben. Wenn
Webbs Frau eine ihrer spitzen Bemerkungen gegen mich machte, blickte ich sie
mit einem strahlenden Lächeln an, und diese Taktik brachte sie aus der Fassung.
Sie wurde schnell aggressiv. Anne machte mir ein Zeichen, mich nicht zur Wehr
zu setzen. Sie haßte öffentliche Szenen und spürte, daß Madame Webb nahe daran
war, eine zu machen. Mich störte das nicht, ich war daran gewöhnt. In
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