Bony und die weiße Wilde
Ganz im Vertrauen natürlich.«
»Wissen Sie, warum Marvin gesucht wird?«
»Weil er Frauen überfallen hat, wie damals Rose Jukes?«
»Sie wissen über diese Geschichte Bescheid?« Bony war sehr überrascht.
»Ja. Ich arbeitete gerade bei Matt, als es passierte. Matt sagte mir damals, ich dürfe mit niemandem darüber sprechen ~ ich solle die Sache vergessen. Und das habe ich getan. Schließlich war es nicht meine Angelegenheit.«
Nein, nicht seine Angelegenheit. Die Angelegenheit des weißen Mannes. Dieses Zusammentreffen mit Lew war der erste glückliche Umstand im gegenwärtigen Fall. Ohne sein Interesse allzusehr zu zeigen, bohrte Bony weiter.
»Sie würden Marvins Fußspuren sofort erkennen, wenn Sie sie zu sehen bekämen?«
»Die würde ich nie vergessen«, erwiderte Lew, und mit Nachdruck fügte er hinzu: »Niemals!«
»Wieso?«
»Mein alter Herr war ein hervorragender Spurenleser. Er konnte geradezu die Gedanken des Betreffenden aus einer Spur herauslesen. Mehr als einmal befahl er mir, mich nicht mit Marvin einzulassen. Marvin sei ein Kedic, sagte er. Er zeigte mir Marvins Spuren und erklärte mir, weshalb sie ihm verrieten, daß Marvin ein Kedic sei.« Lew zuckte die Achseln. »Tja, und er ist ja auch wirklich ein Kedic.«
»Das heißt, er ist vom bösen Geist besessen? Ich habe schon von Kedics gehört, aber unter einem anderen Namen. Was haben die Leute Ihres Vaters mit ihnen gemacht? Wahrscheinlich das gleiche wie alle Eingeborenen.«
»Ich denke schon. Mein alter Herr erzählte mir jedenfalls, daß man einem Kedic im Busch auflauere und ihn dann erschlage und verbrenne. Kedic nicht gut. Besser, man tötet ihn, bevor er jemanden tötet. Marvin ist ein Kedic, war immer ein Kedic. Mein alter Herr sagte es, und mein alter Herr hat recht behalten, nicht wahr?«
»Wer sagt Ihnen, daß Marvin getötet hat?« fragte Bony. »Gewiß, er überfiel Frauen, aber woher wollen Sie wissen, daß er einen Mord beging?«
Lews Augen funkelten amüsiert.
»Mein alter Herr war gut.« Er schlug sich vor die Brust. »Ich bin ebenfalls gut. Als ich Sergeant Sasoon die Gipsabdrücke nahm, sah ich an Marvins Spuren, daß er getötet hat. Und so ist es, nicht wahr?«
Bony nickte. Er hatte bereits von derart unwahrscheinlichen Fähigkeiten gehört, aber nie daran glauben wollen, zumal dadurch seine eigenen Fähigkeiten im Spurenlesen ziemlich in den Schatten gestellt wurden. Trotzdem verspürte er keinen Neid auf diesen Eingeborenen. Im Gegenteil - dessen Fähigkeiten konnte er sich jetzt gut zunutze machen. Er bat Lew um das Fernglas und beobachtete die Gestalt, die durch das Gartentor der Lagunenfarm trat. Es war Sadie. Sie hatte ihr Nachmittagskleid ausgezogen und trug jetzt eine blaue Bluse und lange Hosen.
»Wie ist Ihr Sohn eigentlich mit den Rhudderjungen ausgekommen?« fragte er.
»Als sie klein waren, vertrugen sie sich gut«, erwiderte Lew. Bony wartete auf eine nähere Erklärung. Er sah, wie Sadie am Ufer der Lagune entlang hinüber zum Sanddamm und zum Strand ging. »Und als sie größer wurden, war das Verhältnis nicht mehr so gut?« bohrte er weiter.
»Nein. Fred mochte es nicht, wenn man ihm beim Spielen immer die unangenehmen Rollen zuteilte. Außerdem nannte Marvin ihn immer den schwarzen Bastard. Es war da noch etwas, aber das wollte Fred nicht sagen. Aber daraufhin brach er dann den Verkehr mit den Jungs ab.«
»Sadie ist zum Strand gegangen. Sie hat weder einen Beutel noch einen Korb dabei. Kannte Marvin sich gut aus im Busch, damals, als er verschwand?«
»Genau wie die anderen - sehr gut«, erwiderte Lew. »Sie hatten ja eine Menge von uns gelernt.«
»Wußten sie auch, wie man Spuren verwischt?«
»Das hatten sie auch gelernt.«
»Glauben Sie, daß Marvin Fred oder Sie bluffen könnte?«
Der Neger lachte belustigt auf, und Bony drückte ihm das Fernglas in die Hand. Er selbst konnte jetzt mit bloßem Auge sehen, wie Sadie Stark über die Sandmauer marschierte.
Bonys Pferd schnaubte unten im Camp, und er wiederholte seine letzte Frage.
»Er könnte weder mich noch Fred bluffen. Völlig ausgeschlossen. Vielleicht bildet er es sich ein. Er hielt uns Schwarze ja immer für beschränkt. Sadie Stark geht nicht zum Strand. Sie folgt den Teesträuchern am Kliffrand. Sie geht wohl nur spazieren. Da kommen Fred und der Wachtmeister.«
»Ich gehe jetzt hinunter zu den beiden. Sie bleiben hier und beobachten Sadie.«
Wachtmeister Breckoff und sein Spurenleser waren im gleichen Alter und
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