Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
Der Archivar war verschwunden. Dieser Mann kam ihr wie ein Fremder vor. »So, und wenn du wieder bei Sinnen bist, sollten wir uns fürs Dinner ankleiden.« Er wandte sich zu dem mit Wasser gefüllten Becken des Waschtisches. »Meine Abendgarderobe, Hyacinth.«
Eliza rappelte sich auf und starrte Wellington nur an, während er sich Wasser ins Gesicht spritzte. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, und es schien ihr, als wäre er den Tränen nahe.
Verzeihung, formte er mit den Lippen.
Eliza hatte sich noch nie so gefreut, Welly zu sehen. Sie zwinkerte ihm spielerisch zu. Nein, dieser Einsatz war nicht ihr erster, aber für Wellington war es eine Premiere; und er gab sich alle Mühe. Sie beschäftigte sich also damit, die Koffer und Taschen zu öffnen und nach der Abendkleidung zu suchen. Ihre Hände zitterten, was gewiss auf Wellingtons unberechenbares Verhalten zurückzuführen war, aber auch auf das heiße Kribbeln in ihr und den Umstand, dass sie selbst erst wieder zu Atem kommen musste. Ja, vielleicht hatte sie dieses erotische Täuschungsmanöver allzu sehr genossen, und Wellys Reaktion war nötig gewesen, um sie beide wieder an den Ernst der Lage zu erinnern.
Wellington hielt eines ihrer Kleider hoch – das weiße mit dem tiefen V-Ausschnitt und den fließenden Ärmeln – und sah Eliza schief von der Seite an. »Hältst du es für klug, ein solches Kleid in fremder Gesellschaft zu tragen?«
Sieh an, da ist ja mein kleiner Welly, dachte sie verspielt. Mit einem schelmischen Lächeln förderte Eliza ein Smokingjackett zutage, das nach der neuesten Mode geschneidert war.
Der Archivar räusperte sich. Nachdem er das dargebotene Kleidungsstück eine Weile begutachtet hatte, zog er eine Braue hoch. »Hyacinth, ich wusste ja gar nicht, dass du meine Maße so genau kennst.«
In diesem Moment war es wahrscheinlich ganz gut so, dass sie ihre Stimme nicht erheben durfte, denn sie hatte einige schmissige Erwiderungen parat.
Stattdessen drehte sie ihm den Rücken zu und deutete mit verrenkten Armen auf die Schnüre ihres Korsetts. Als keine Hilfe kam, funkelte sie ihn über die Schulter hinweg trotzig an. So leicht kam er ihr nicht davon. Schließlich hatte er ihr doch schon einmal beim Aufschnüren geholfen.
Zu guter Letzt, nachdem Wellington ihr stummes Flehen um Hilfe endlich begriffen hatte, begann er wie wild an ihr herumzuzerren und zu ziehen – eine anständige Zofe war an ihm zumindest nicht verloren gegangen.
Eliza schlüpfte hinter den chinesischen Wandschirm und streifte rasch ihre übrigen Kleidungsstücke ab. Denn sie wusste, wenn sie Wellington noch weiter reizte, würde das Konsequenzen haben, und sie brauchte ihn bei messerscharfem Verstand. Allerdings musste sie sich ja auch für den Abend umziehen. Sein Verständnis von Sittsamkeit würde er wohl oder übel anpassen müssen. Als sie hinter dem Wandschirm hervortrat, waren nur noch die Schnüre ihres Kleides festzuzurren, also präsentierte sie ihm erneut ihren Rücken.
»Ich muss gestehen«, flüsterte Wellington, während er die Bänder fest verschnürte, »der Einsatz Ihrer Weiblichkeit als Waffe verstört mich zutiefst.« Und mit jedem weiteren Ruck an den Bändern zischte er ihr ins Ohr: »Nehmen Sie sich in Acht.«
Leise seufzend sann Eliza über dieses verblüffende Bekenntnis nach. Nicht, dass es an sich überraschend gewesen wäre, nur dass er es geäußert hatte.
Wellington bedachte sie mit einem Blick, der drohend, aber nicht bedrohlich war. Dann schnappte er sich seine Abendgarderobe und verschwand nun seinerseits hinter dem Wandschirm, um sich umzuziehen. Da sie nach ihrem kleinen Intermezzo auf dem Bett noch immer dieses Kribbeln verspürte, geriet Eliza in Versuchung, heimlich einen Blick hinter den Paravent zu werfen – kam jedoch zu dem Schluss, dass es ein paar Geheimnisse gab, denen sie nicht sofort auf den Grund gehen sollte. Davon einmal abgesehen hatte sie ihn (und sich selbst) für heute schon zur Genüge verwirrt.
Derweil Wellington seinen maßgeschneiderten Smoking anlegte, widmete Eliza sich einer anderen unerlässlichen Tätigkeit. Sie schlenderte durchs Zimmer bis zur gegenüberliegenden Wand und fing an, diese gründlich und geräuschlos zu untersuchen.
Eine erste Inspektion mit den Fingerspitzen brachte keine Gucklöcher zum Vorschein, die in so alten Häusern wie diesem keine Seltenheit waren.
Hinter den Gemälden, unter dem Bett, in und an kleineren Einrichtungsgegenständen suchte sie nach Drähten oder
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