Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
leicht, den Geist seines Vaters heraufzubeschwören, denn dieses Herrenhaus entsprach seiner natürlichen Umgebung. Genau genommen hätte es den Archivar keineswegs überrascht, hinter irgendeiner Ecke sein gräuliches, verbittertes Gesicht zu sehen – doch Howard Books ging heutzutage nicht mehr aus dem Haus. Und darin sah sein Sohn eine ungemein glückliche Fügung.
Um seiner Partnerin willen hatte er eigentlich wach bleiben wollen, aber Wellington spürte bereits, wie er in einen Dämmerzustand glitt, und er war froh und erleichtert, nicht mehr an seinen Vater denken zu müssen. Für ihn war es schon schlimm genug, sich seiner Lehren zu bedienen – er brauchte seine Stimme im Kopf weiß Gott nicht länger als zwingend erforderlich. Was er jedoch brauchte, war Schlaf. Und ob er es nun wollte oder nicht, sein Körper holte sich den Schlaf auch ohne Zustimmung.
Kapitel 23
In welchem Miss Braun zu mitternächtlicher Stunde ihr Schweigen bricht und Mr. Books einen tadellosen Revolver ausschlägt
Das war wirklich und wahrhaftig eine energiegeladene Abendunterhaltung. Eliza schlüpfte in ihren Morgenmantel und schloss die schwere Eichentür. Sie war es gewohnt, sich frühzeitig von Festlichkeiten fortzuschleichen, aber all jene, die sie auf der Orgie zurückgelassen hatte, waren ohnehin dermaßen in ihr Treiben vertieft, dass sie ihr Verschwinden gar nicht bemerken würden. Eliza hatte genügend Leute angenehm erregt, befand sie, einigen anderen sogar aus den Kleidern geholfen und es dennoch geschafft, den größten Teil ihrer Tugend zu wahren.
Nun, zumindest bei dieser Gelegenheit.
Es hätte eigentlich nicht von Belang sein sollen, doch irgendetwas an Wellingtons Missbilligung hatte sie veranlasst, von ihrem ursprünglichen Plan für die Nacht abzuweichen. Sie war nämlich darauf aus gewesen, während der Orgie ein Mitglied dieser Bruderschaft – oder gleich mehrere – zu bezaubern; aber trotz der leicht reizbaren Beziehung zwischen ihr und Wellington hatte sie bemerkt, dass ihr seine Meinung am Herzen lag. Auf dem Weg zu der Orgie hatte sie daher beschlossen, dass diese Nacht lediglich dazu dienen sollte, sie bekannt zu machen. Mehr nicht.
Und sie war lange genug geblieben, um einen günstigen Eindruck zu hinterlassen – im Gegensatz zu einer gewissen anderen Person.
Die Ehefrau eines Initianden – Delilah Fairbanks, wie sie dem Getuschel entnehmen konnte – hatte sich wesentlich früher zurückgezogen als Eliza, und das war mit Sicherheit wahrgenommen worden. Namentlich von Lord Devane.
Als Eliza nun die Treppe wieder hinaufging und eigentlich nur noch schlafen wollte, hörte sie aus einem Zimmer am Ende des Flurs ein verzweifeltes Schluchzen. Ein prüfender Blick ergab, dass die Tür der Fairbanks lediglich angelehnt war. Eliza tappte also den Flur entlang und gab der Tür einen Schubs, sodass sie sperrangelweit aufsprang.
Delilah bot einen denkwürdigen Anblick. Das Korsett saß völlig schief, ihr dunkles Haar war zerzaust, und als sie sich umdrehte und ihre mitternächtliche Besucherin anschaute, schwammen ihre grünen Augen in Tränen. »Ich …« Delilah Fairbanks schüttelte den Kopf, und ihre Unterlippe zitterte, als sie weitersprach: »Ich weiß nicht, warum ich hier bin.«
Eliza sah ihr tief in die Augen, und was sie dort erblickte, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken.
Nach wenigen Schritten stand sie vor der törichten Frau und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Das Echo der Maulschelle hallte durch das Zimmer, und Delilah hielt sich völlig verwirrt die Wange. Bevor sie sich erholen konnte, schob Eliza schnell eine Walze in den Phonographen. Sobald die munteren Klänge von »Daisy Belle«, schmachtend vorgetragen von Katie Law rence, den Raum erfüllten, griff Eliza auf das zurück, was sie – Dr. Sounds Einschätzung zufolge – zur herausragenden Geheimagentin gemacht hatte: auf ihre Fähigkeit zu spontanen Entscheidungen.
»Ich weiß zwar nicht, wer Sie sind, aber Lady Delilah Fairbanks sind Sie ganz sicher nicht.«
Die kleine Frau starrte sie fassungslos an – das war nun schon der zweite Schock innerhalb kürzester Zeit. Schließlich brachte sie stammelnd hervor: »Die … die haben gesagt, Sie seien stumm.«
»Glückwunsch«, erwiderte Eliza schnippisch. »Jetzt, da jede die Geheimnisse der anderen kennt, können wir ja ehrlich sein. Wer sind Sie?«
Die andere Frau schluckte und nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Wer sind Sie?«
Eliza beugte sich leicht vor,
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