Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
dannen. Wellington und Eliza betrachteten die Passanten, die alle äußerst adrett und sittsam gekleidet waren. Wellington und seine Kleider dagegen hätten dringend einer ordentlichen Wäsche bedurft. »Ich nehme an«, begann Eliza, während sie sein Revers zurechtzupfte und leicht andrückte, »wir werden uns wohl mit Ihrem gegenwärtigen Erscheinungsbild zufriedengeben müssen.«
»Ich habe nicht bedacht, dass wir nach Charing Cross wollen.«
»Keine Bange«, erwiderte sie und staubte behelfsmäßig seine Schultern ab. »Wir werden dem guten Doktor einfach erzählen, dass Sie unter Schlaflosigkeit leiden. Diese kleine Lüge kommt der Wahrheit doch recht nahe und dürfte somit auch leicht zu verkaufen sein.«
Sie wandte sich wieder der Arztpraxis zu. Irgendetwas kam ihr sonderbar vor.
»Also gut, Welly.« Entschlossen hakte sie sich bei ihm ein. »Halten Sie schön die Augen offen.«
»Einen Moment noch, Miss Braun.« Abrupt blieb er stehen und hielt sie am Fuß der Treppe zurück. »Bitte vergessen Sie nicht, dass wir nur aufgrund eines sehr vagen Hinweises hier sind. Die Hoffnung, unser Besuch hier könnte tatsächlich irgendwohin führen, ist noch ziemlich unangebracht.«
Sie funkelte ihn böse an und spürte, wie ihr Blut in Wallung geriet. »Nun, mir scheint, das wird noch schwierig mit Ihnen.«
»Ich ermahne Sie lediglich zur Zurückhaltung. Sie fühlen sich wahrscheinlich ein wenig … « Wellington brach ab und nahm sich die Zeit, um seine Worte sorgfältig zu überdenken. »… ein wenig kämpferischer als gewöhnlich. Ein recht erschreckender Gedanke, muss ich gestehen, aber machen Sie sich bitte bewusst, dass auch das eine Nebenwirkung des Katermittels ist.«
Eliza neigte den Kopf zur Seite und lauschte in sich hinein. »Ich fühle mich kein bisschen anders als sonst, aber wenn Sie es sagen. Ich werde mich bemühen, es Ihnen recht zu machen.« Sie überlegte noch einen Moment, dann fügte sie hinzu: »Für ein Weilchen.«
Sie wollten gerade die Treppe hinaufsteigen, als sie wie vom Schlag einer riesigen Faust zu Boden gestreckt wurden. Die Fensterscheiben der oberen Stockwerke zersplitterten und flogen bis auf die Straße. Eliza und Wellington lagen wie vom Sturm gefällte Bäume auf dem Bürgersteig.
Eliza brauchte einen Moment, um zu begreifen, was da gerade geschehen war. Es hatte eine Explosion gegeben. Eine große.
Sie hatte sogar die Fensterscheiben auf der gegenüberliegenden Straßenseite erzittern lassen. Fußgänger schrien vor Schmerz oder Entsetzen, Mauerwerk bröckelte, brennendes Holz knackte, und das Feuer erzeugte ein tiefes Dröhnen wie der Heizkessel im Archiv. Eliza rollte herum und legte sich der Länge nach schützend über Wellington, als eine zweite Explosion erneut Flammen und Trümmer aus dem Haus katapultierte.
Sie hielt den benommenen Wellington so lange am Boden fest, bis sie sicher war, dass der Sprengstoff und das ausströmende Gas ihr Werk verrichtet hatten. Nach ihrer professionellen Einschätzung der Lage – gegenwärtig bäuchlings auf dem Archivar – war es eine sehr gut platzierte Sprengladung gewesen: so effektiv, dass die Arztpraxis komplett zerstört wurde und die Gasleitung der dazugehörigen Wohnung explodierte, alles andere jedoch unversehrt blieb. Diese Präzision und Finesse kündeten von Erfahrung – von einem Könner wie sie.
Als Eliza sich schließlich von Wellington herunterrollte, war er kreidebleich, aber bemerkenswert ruhig. Glücklicherweise war es nicht seine erste Explosion gewesen – sonst hätte sie sich vermutlich auch noch mit einem schreienden Archivar befassen müssen. Sie hasste panisches Gekreische, und die Schreie der Verletzten und Sterbenden auf der Straße waren schon schlimm genug. Da derartige Ereignisse in Charing Cross nicht gerade an der Tagesordnung waren, schien eine allgemeine Panik unausweichlich. Der Verkehr stand still. Die Leute gafften voller Entsetzen. Schon bald würde die Feuerwehr eintreffen. Die Polizei ebenfalls. Da niemand auf sie achtete, suchte Eliza sich selbst und Books erst einmal auf äußere Verletzungen ab, die es dankenswerterweise nicht gab. Allerdings würden spätestens am nächsten Morgen Prellungen spürbar werden.
»Also, Welly«, fragte Eliza, »halten Sie diese Spur immer noch für recht weit hergeholt?«
Kapitel 11
In welchem unser tollkühnes Duo sich einer rasanten Verfolgungsjagd durch London hingibt
Erneut schossen Rauch und Flammen aus den Trümmern der Praxis in Charing
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