Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
Trotzdem behielt sie ihren unbeschwerten Tonfall bei. »Ach, kommt schon, Jungs … «
Plötzlich packte Buford sie am Arm und starrte sie eindringlich an. »Nein, wirklich, Miss Emma – gehn Sie nicht dorthin. Niemals. Selbst jetzt nicht, wo dieser Schlächter unter der Erde liegt.«
In Whitechapel war der Tod alltäglich. Demnach musste alles, was diesbezüglich ihre Aufmerksamkeit erregte, etwas wahrhaft Grauenvolles sein. Eliza deutete ein Nicken an, ein Nicken, das jeder verstand, der jemals in ärmlichen Verhältnissen gelebt hatte.
»Wie auch immer, jetzt ist er tot«, murmelte Josiah. »Und wir sind bestimmt nicht die Einzigen, die dafür dankbar sind – die Krankenschwestern haben richtig einen auf die Haube gekriegt. Vor allem sie.« Sein Blick fiel auf eine dunkelhaarige, stämmige Frau in einer Ecke des Pubs. Ob es Zufall war oder ob es mit ihr selbst zu tun hatte, sie saß ganz allein an ihrem Tisch.
»Wer ist sie?« Eliza trank den letzten Schluck ihres Biers.
»Mary Grissom. Die prächtigste Lady, die je die Flure des Royal Hospital geziert hat, wennse mich fragen, was doch der Fall war, oder?« Josiahs breites Gesicht zeigte Mitgefühl – eine weitere Regung, die man in Whitechapel nur selten fand. »Der Meinung war auch dieser Bettnässer Smith, und darum ist sie mitgegangen und hat in dieser Praxis für ihn gearbeitet. Aber dann hat sie da was gesehen. Etwas Schlimmes. Wollte ihn verpfeifen, wollte alles, was er dort unten getrieben hat, an die große Glocke hängen. Und Smithy hat Wind davon bekommen. Jetzt kriegt sie überhaupt keine Arbeit mehr – nicht mal im Bedlam.«
Buford gab einen inbrünstigen Rülpser von sich, bevor er feierlich verkündete: »Armes Ding … Treibt sich aber auch immer noch in der Nähe vom Krankenhaus rum. Wie ein geprügeltes Hündchen, das zurückkommt, um sich die nächste Tracht Prügel abzuholen.« Er ließ seine Faust auf die Theke krachen, sodass die umstehenden Humpen einen Satz machten. »Das ist einfach nicht in Ordnung. Nicht in Ordnung, verdammt! Smith hat über sie grässliche Dinge rumerzählt, hat sie damit zu einer Aussätzigen gemacht. Das hat sie nicht verdient!«
Sie war also diejenige, mit der Eliza reden musste. »Meine Herrn, das schreit nach einer weiteren Runde. Gott segne euch«, sagte sie und warf einige Münzen in den Schlitz. »Aber wenn ihr mich jetzt entschuldigen wollt, Jungs. Sieht so aus, als könnte Mary das Ohr einer Dame gebrauchen.«
Sie kämpfte sich zum anderen Ende der Combobula durch und bestellte zwei Sherry. Die beiden Gläser zwischen die Finger der Linken geklemmt, bahnte sie sich einen Weg durch die Menge zu dem abgeschiedenen Tisch, an dem Mary Grissom saß. Als Mary den Kopf hob und ihr direkt in die Augen sah, fühlte Eliza sich tatsächlich an ein hilfloses, völlig verwirrtes Hündchen erinnert.
»Bitte schön, Schätzchen.« Eliza sprach mit sanfter Stimme und stellte den Sherry vor ihr auf den Tisch. Dann deutete sie mit dem Kopf in Richtung der Krankenpflegehelfer. »Die Jungs da drüben haben gemeint, Sie könnten einen Schluck vertragen.«
Schmuddelige Hände umfassten zögernd das Glas. »Danke«, flüsterte sie und hob den Sherry an die Lippen.
»Nicht der Rede wert – ich kann’s nicht leiden, wenn eine Frau von irgendwelchen feinen Pinkeln rumgestoßen wird.«
Mary warf ihr einen gehetzten Blick zu. »Was wollen Sie von mir?« Sie gab sich große Mühe, so zu klingen, als käme sie aus dem East End, aber ihre gute Erziehung schimmerte durch. Wer Mary Grissom jetzt auch sein mochte, früher war sie eine andere gewesen. Dr. Smith hatte Mary Grissom bis zur völligen Unterwerfung geprügelt, und jetzt war diese Frau, die einst unzählige Menschen gesund gepflegt hat, nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Bei ihr musste Eliza eine andere Taktik einschlagen. Mary war die Ausnahme im East End. Da sie kein Glas vor sich stehen hatte, schlussfolgerte Eliza, dass die gefallene Krankenschwester mitnichten hierherkam, um zu vergessen. Sie versteckte sich.
Die Agentin beugte sich über den kleinen, wackeligen Tisch und fixierte Mary mit dem Blick eines Falken. »Ich weiß, dass dieser Mistkerl Smith Sie überall derart in Verruf gebracht hat, dass Sie die einzige ehrbare Arbeit, die Sie hier finden konnten, nicht mehr ausüben können, was Sie aber sollten. Angesichts seines unerwarteten Ablebens und angesichts der Gründe für seine schändliche Tat, Ihren Ruf zu besudeln, vermute ich, dass Sie etwas
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