Boomerang
gesteckt.
»In der ganzen Stadt sind die Leute mit Taschen herumgelaufen«, erinnert er sich. »Sonst sieht man hier nie jemanden mit einer Tasche.«
Nach der Arbeit habe er seine Tüte nach Hause geschmuggelt und umgerechnet etwa 20 000 Euro in Yen, Dollar, Euro und Pfund in einem Schachbrett deponiert.
Noch im September waren die großen Banker die Helden der Nation. Heute sind sie im Ausland oder gehen nicht mehr vor die Tür. Vor der Krise habe es auf Island keine Kriminalität gegeben, so Magnus, aber heute fürchtet er sich vor Scharen von Straßenräubern, die aus dem Ausland kommen, um sein Schachbrett auszuräumen. Er weigert sich, mir seinen wahren Namen zu nennen.
»Wenn die in New York davon Wind bekommen, schicken sie Flugzeugladungen voller Diebe hier rüber«, sinniert er. »Die meisten Leute haben ihre Ersparnisse zu Hause.«
Da er ohnehin schon nervös ist, frage ich ihn auch noch nach den beunruhigenden Explosionen, die ich von meinem Hotelzimmer aus gehört habe. »Ach ja«, sagt er lächelnd. »In letzter Zeit sind eine Menge Range Rover in Flammen aufgegangen.« Dann erklärt er.
In den letzten Jahren haben sich viele Isländer an den fatalen Spekulationen beteiligt. Da die Zinsen zu Hause bei 15,5 Prozent lagen und die Isländische Krone immer weiter stieg, |31| hielten sie es für klug, ihre Kredite nicht in Kronen aufzunehmen, sondern in Yen oder Schweizer Franken. Auf den Yen zahlten sie nur 3 Prozent Jahreszinsen, und außerdem machten sie bei der Rückzahlung der Kredite ein Devisengeschäft, da die Krone immer weiter stieg. »Die Fischer haben das Geschäft entdeckt«, erzählt Magnus. »Irgendwann haben sie damit mehr verdient als mit dem Fisch.« Sie verdienten so viel, dass schließlich auch die übrigen Isländer in den Handel einstiegen.
Es war ein feines Geschäft: Sie kauften immer teurere Häuser und Autos mit Krediten, für sie sie unterm Strich sogar noch Zinsen bekamen. Aber nach dem Crash im Oktober waren die Yen und Franken, mit denen sie ihre Kredite zurückzahlen mussten, von einem Tag auf den anderen um ein Vielfaches teurer geworden. Viele Isländer, vor allem junge Menschen, sind heute Besitzer von Häusern, die 500 000 Euro wert sind und mit Hypotheken von 1 500 000 Euro belastet sind. Oder sie fahren Range Rover, die 35 000 Euro kosten und für die sie 100 000 Euro abstottern müssen. Für das Range-Rover-Problem gibt es zwei einfache Lösungen: Entweder man verlädt den Wagen auf eine Fähre, bringt ihn aufs europäische Festland und verkauft ihn in einer Währung, die noch etwas wert ist. Oder man zündet ihn an und kassiert die Versicherungssumme. Bumm!
Reykjavík mag auf Lavafelsen errichtet worden sein, aber man hat das Gefühl, die Stadt bestehe aus verschiedenen historischen Ablagerungen: Auf einem dicken architektonischen Sockel, den man als »nordisch-pragmatisch« bezeichnen könnte, liegt eine dünne Schicht, die vermutlich irgendwann »heuschrecken-kapitalistisch« heißen wird. Die charmanten, zwergenhaften Gebäude, in denen die Regierung untergebracht |32| ist, sind auf Augenhöhe der Isländer. Die halbfertigen Glas- und Stahltürme an der Uferpromenade, die für die neureichen Banker gedacht waren und den Isländern nur die Sicht auf die weißen Klippen um den Hafen verstellen, sind dagegen hoffnungslos überdimensioniert.
***
Am besten lernt man eine Stadt auf einem Rundgang kennen. Leider wird man überall in Reykjavík von Männern angerempelt, die sich nicht einmal entschuldigen. Spaßeshalber gehe ich die Einkaufsstraße auf und ab, um zu sehen, ob vielleicht irgendeiner dieser isländischen Männer ausweicht, um mich nicht über den Haufen zu rennen. Keine Chance. Besonders akut wird das Problem während der Partynächte – Donnerstag, Freitag und Samstag –, wenn die Bürger ihrer Pflicht zum Komasaufen nachkommen und bis zu einer Uhrzeit durch die Straßen torkeln, zu der andernorts längst die Sonne aufgegangen ist. Die Kneipen sind bis 5 Uhr morgens geöffnet und werden von den Isländern mit einer entfesselten Energie aufgesucht, die mich als Amerikaner eher an Arbeit erinnert. Kaum betrete ich einen Club namens Boston, werde ich von einem bärtigen Troll gerammt, der angeblich zu besseren Zeiten einen isländischen Hedgefonds leitete. Gerade als ich wieder Luft bekomme, werde ich von einem betrunkenen Manager der Notenbank niedergetrampelt. Vielleicht liegt es daran, dass er sturzbesoffen ist, vielleicht auch
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