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Boomerang

Boomerang

Titel: Boomerang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewis
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Milliardenhöhe angehäuft und machen munter so weiter. Das Renteneintrittsalter für als »anstrengend« eingestufte Berufe liegt in Griechenland für Männer bei 55 Jahren und für Frauen bei 50 Jahren. Da der Staat dann mit der Auszahlung großzügiger Renten beginnt, haben es über 600 Berufe geschafft, in Griechenland als anstrengend qualifiziert zu werden: Friseure, Radiosprecher, Kellner, Musiker, und so weiter und so fort. Im staatlichen Gesundheitswesen wird in Griechenland weit mehr Material verbraucht als im europäischen Durchschnitt. Gleich mehrere Griechen haben mir erzählt, |67| es sei durchaus üblich, dass Krankenschwestern und Ärzte nach der Arbeit bergeweise Papiertücher, Windeln und alles, was sich sonst noch aus Vorratsschränken entwenden lässt, nach Hause schleppen.
    Die Grenzen zwischen Verschwendung und Diebstahl sind fließend. Das eine kaschiert und ermöglicht damit das andere. Beispielsweise ist es einfach selbstverständlich, dass jeder, der für den Staat arbeitet, geschmiert werden muss. Die Menschen, die öffentliche Krankenhäuser aufsuchen, gehen davon aus, dass sie die Ärzte bestechen müssen, damit sich diese wirklich um sie kümmern. Minister, die ihr Leben lang der Öffentlichkeit gedient haben, können sich nach dem Ausscheiden aus dem Amt für Millionen von Euro Villen kaufen – und gleich zwei oder drei Landsitze.
    Über jede Kritik erhaben ist dabei ausgerechnet die griechische Finanzbranche. Die Griechen sind seit jeher behäbige Geschäftsbanker der alten Schule. Sie waren in Europa quasi die einzigen in ihrer Zunft, die weder in US-Hypothekenanlei hen investiert haben noch bis zum Anschlag gehebelt waren oder sich selbst astronomische Summen zugeschanzt haben. Das größte Problem der Banken bestand darin, dass sie rund 30 Milliarden Euro an die griechische Regierung verliehen hatten, die in der Folge veruntreut oder verschwendet wurden. In Griechenland sind es nicht die Banken, die das Land in den Abgrund gerissen haben, sondern das Land hat die Banken auf dem Gewissen.
    ***
    Am Morgen nach meiner Ankunft suche ich den griechischen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou auf, dessen Aufgabe es ist, das unsägliche Schlamassel in Ordnung zu bringen. Athen schafft es irgendwie, gleichzeitig blitzsauber und |68| schmuddelig zu wirken. Die schönsten, frisch getünchten neoklassischen Häuser werden durch ebenso frische Graffitis entstellt. Natürlich stehen überall Ruinen aus der Antike, aber die wirken seltsam deplatziert. Athen sieht aus wie Los Angeles mit Vergangenheit.
    Am schmalen, dunklen Eingang zum Finanzministerium wird man von einem kleinen Trupp Sicherheitsbeamter überprüft, die sich allerdings nicht die Mühe machen, nachzusehen, warum der Metalldetektor angeschlagen hat. Im Vorzimmer des Ministers kümmern sich sechs Damen im Laufschritt um seine Terminplanung. Sie wirken allesamt hektisch, gestresst und überarbeitet … und er kommt trotzdem nicht pünktlich. Die Räume haben vermutlich schon bessere Tage gesehen. Richtig gut waren diese aber offensichtlich auch nicht: Die Möbel sind abgenutzt, der Fußboden mit Linoleum belegt. Das Auffallendste ist aber die große Zahl der Beschäftigten. Minister Papakonstantinou (»Bitte nennen Sie mich doch George«) hat in den 1980er Jahren die New York University und die London School of Economics besucht und dann zehn Jahre lang in Paris für die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) gearbeitet. Er ist offen, freundlich, frisch und glatt rasiert und wirkt wie viele Angehörige der neuen griechischen Regierungsspitze weniger griechisch als angelsächsisch – ich möchte fast sagen, amerikanisch.
    Als Papakonstantinou im Oktober 2009 das Ruder übernahm, hatte die griechische Regierung ihr Haushaltsdefizit für jenes Jahr auf 3,7 Prozent angesetzt. Zwei Wochen später wurde diese Zahl auf 12,5 Prozent heraufkorrigiert. Tatsächlich lag sie eher bei 14 Prozent, wie sich herausstellte. Seine Aufgabe war nun, herauszufinden, warum das so war, und es |69| dem Rest der Welt zu erklären. »Am Tag nach meinem Amtsantritt musste ich eine Sitzung einberufen, um den Haushalt zu prüfen«, erzählt er. »Ich trommelte alle Mitarbeiter des obersten Rechnungshofs zusammen und wir begannen mit unserer Enthüllungsarbeit.« Jeden Tag entdeckten sie eine neue unglaubliche Auslassung. Eine Pensionsverpflichtung in Höhe von 700 Millionen Euro
pro Jahr
tauchte einfach nicht in den Büchern

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