Boomerang
unterfinanzierte Krankenkassen, eine Senkung der Regierungszahlungen an die Bundesstaaten, einen Rückgang der Steuereinnahmen aufgrund der schwachen Konjunktur in die Rechnung einbezog, blickte man auf billionenschwere Haushaltslöcher, auf die es nur zwei Reaktionen gab – massive Ausgabenkürzungen bei den öffentlichen Dienstleistungen oder Pleite – oder beides gleichzeitig. Meredith Whitney hielt eine Pleite für unwahrscheinlich, zumindest auf staatlicher Ebene, weil der Staat die Kommunen zur Ader lassen konnte, um Anleihegelder zurückzuzahlen. Es waren die Städte, die am meisten zu leiden haben würden. »Das Beängstigende an den staatlichen Geldverwaltern«, erklärte Whitney, »ist die Tatsache, dass sie keine Ahnung von der Finanzsituation ihrer eigenen städtischen Gemeinden haben.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil ich sie gefragt habe!«
Möglicherweise waren alle Staaten gleich geschaffen, aber jetzt waren sie alles andere als gleich. Die Staaten, die den größten Wirtschaftsboom erlebt hatten, sahen sich nun der schlimmsten Flaute gegenüber. »Wie gehen die Vereinigten Staaten aus der Kreditkrise hervor?« Diese Frage stellte Whitney sich selbst. »Weil sich die Kreditkrise von Region zu Region so unterschiedlich ausgewirkt hat, war ich überzeugt, dass sich am Ende eine Neuverteilung strukturschwacher und strukturstarker Regionen herauskristallisieren würde. Unternehmen geht es im Allgemeinen in strukturstarken Bundesstaaten besser; Bürger siedeln sich da an, wo es Arbeitsstellen gibt. Letztendlich folgen die Menschen den Unternehmen.« Das Land würde sich ihrer Ansicht nach zunehmend in Zonen |198| finanzieller Sicherheit und finanzschwache Zonen aufteilen. Und je deutlicher den Menschen bewusst würde, welche Zone zu welcher Kategorie gehörte, umso größer würden die Spannungen zwischen den beiden werden. (»Indiana wird sagen: ›Kommt überhaupt nicht infrage, dass wir New Jersey aus der Klemme helfen!‹«)
Die Lage würde sich in dem Maße verschärfen, in dem den Leuten bewusst wurde, welche Staaten in einer schweren Krise steckten und welche nicht. »Wer genug Geld hat, um sich anderswo niederzulassen, wird es tun«, schrieb Whitney in einem Bericht an ihre Wall-Street-Kunden, »wer kein Geld für einen Umzug hat, wird bleiben. Letztere werden zunehmend von staatlicher und kommunaler Unterstützung abhängig sein. Letztendlich wird es auf eine ›Tragik der Allmende‹ hinauslaufen.«
Meredith Whitney ging es bei ihren Recherchen nicht darum, Zusammenbrüche im Kommunalanleihen-Markt vorherzusagen. Ihr Ziel war es vielmehr, Staaten miteinander zu vergleichen, damit sie einer Bewertung unterworfen werden konnten. Sie wollte ein Gespür dafür bekommen, wer in den Vereinigten Staaten die Rolle der Griechen und wer die der Deutschen übernehmen würde. Wer stark und wer schwach war. Im Zuge ihrer Recherchen hatte sie die furchterregendsten Finanzplätze der USA aufgestöbert.
»Und welches ist nun der furchterregendste Staat?«, erkundigte ich mich.
Sie musste sich nur etwa zwei Sekunden besinnen.
»Kalifornien.«
***
An einem Sommermorgen radelte ich um sieben Uhr mit einem Fünftausend-Dollar-Mountainbike mit Titanrahmen, das |199| ich vorsichtshalber schon am Vorabend geliehen hatte, über die Strandpromenade von Santa Monica zu der Straßenecke, die Arnold Schwarzenegger mir als Treffpunkt genannt hatte. Er tauchte auf die Minute pünktlich in einem schwarzen Cadillac-Geländewagen auf, an dessen Heck ein Fahrradträger mit ein paar ramponierten alten Drahteseln montiert war. Ich hatte mich so etwa mit dem Neuesten ausstaffiert, was der Markt an Fahrradmonturen zu bieten hatte, er trug eine grüne Fleecejacke, Shorts und weiche slipperartige Latschen, die darauf schließen ließen, dass ihm seine äußere Erscheinung erstaunlich gleichgültig und dass er sich seiner Männlichkeit sehr sicher war. Seine Frisur zeigte noch annähernd die Form, in die sie ein Kissen gedrückt hatte, und seine Lider waren schwer, obwohl er felsenfest behauptete, schon seit eineinhalb Stunden auf den Beinen zu sein und Zeitungen gelesen zu haben. So sieht der Tagesablauf des ehemaligen Gouverneurs von Kalifornien sehr oft aus: Nachdem er die Zeitungen durch hat, fährt er Rad, um seinen Kreislauf in Schwung zu bringen, und anschließend geht es ab in den Kraftraum.
Er zerrt eines der Räder vom Heckträger, schwingt sich in den Sattel und setzt sich auf einer jetzt schon verkehrsreichen
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